Böhmerwaldhaus

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Das Kleinbauernhaus „Beim Boxleitner“ in Totenmann bei Sankt Oswald, um 1935

Das Böhmerwaldhaus ist ein Bauernhaus des 19. Jahrhunderts, das es im inneren Böhmischen Wald und im inneren Bayerischen Wald gab. Seine Heimat ist das waldreiche Mittelgebirgsland der Böhmischen Masse, das früher als Ganzes Böhmerwald hieß. Charakteristisch ist das weit herabgezogene Schopfwalmdach[1] mit Schindeldeckung über einem eingeschossigen Bauwerk, das in Blockbau und Natursteinbauweise errichtet ist.

Beschreibung

Gefüge

Böhmerwaldhaus im Unteren Bayerischen Wald um 1910

Das Böhmerwald-Bauernhaus ist, wie das ihm eng verwandte Waldlerhaus, eine Variante des Einfirsthofes. Der Wohnbereich ist traditionell in Blockbautechnik errichtet, nur der Bereich der offenen Herdstelle und des Stubenofens war stets gemauert. Mit der Einführung der ganzjährigen Stallhaltung nach 1800 wurden die Stallungen, die zuvor ebenfalls in Blockbau errichtet waren, gemauert, in der Regel aus den vor Ort verfügbaren Feldsteinen. Der Stadel ist ein außen mit Brettern verschlagener Holzständerbau.
Unter dem Schopf ist ein windgeschützter Schrot, eine Hochlaube eingebaut. Er ist vom Dachboden aus erschlossen, gelegentlich ist dort eine Kammer eingerichtet.

Der größte Raum des Wohnbereichs ist die heizbare Stube. Sie diente dem Wohnen, Kochen und Schlafen. Zudem wurden dort bei schlechtem Wetter Arbeiten verrichtet, bei denen die Kälte auf der ansonsten dafür genutzten Tenne hinderlich war.[2]

Raumanordnung

Böhmerwaldhaus in Chalupy bei Stachau (Stachy), Grundrissskizze (ohne Maßstab) 1991 (Graphik: Martin Ortmeier)

Belegt sind traufseitig und giebelseitig erschlossene Häuser, Viehstall und Wohnung sind zumeist nur durch einen Flur (Fletz) getrennt. Die Fletz führt direkt in die Stube, die an zwei Seiten Fenster zur Sonne hat. Neben der Stube ist eine kleine Schlafkammer. Eine Rauchkuchel mit einer offenen Herdstelle öffnet sich gewöhnlich zur Fletz, gelegentlich zur Kammer. Darüber steigt der sog. deutsche, also nach oben hin konisch zulaufende besteigbare Kamin („Rauchfang“) auf. Aus der Rauchkuchel wird der Backofen beschickt, dessen Körper in die Stube ragt. In der Stube steht, direkt anschließend an den Backofen, der gemauerte Herd, ausgeführt zumeist als Sesselofen.

Der Stall hat in der Regel Futter- und Mistgang nicht getrennt, d. h. das Vieh wird „über den Schwanz“ gefüttert.
Der Stadel verfügt häufig über eine ebenerdige Quertenne (also von der Längsseite des Hauses her quer zum First verlaufend), bei Bauten in Hanglage ist die Tenne gelegentlich längs oder quer als Obertenne ausgeführt. Im tschechischen Teil des Böhmerwaldes ist eine ebenerdige Längstenne anzutreffen, die von der Dorfstraße über ein zweiflügeliges Tor mit eingegliederter Handpforte und eine breite Fletz angefahren werden kann und rückseitig auf die Hauswiesen führt.

Belegt sind auch Böhmerwaldhäuser in größeren Bauernanwesen. Dort war ein großer Stadel freistehend errichtet oder im Winkel angesetzt.[3]

Geschichte

„Bereits mit dem Westfälischen Frieden war allmählich der Barockstil mit seinem hohen, oft sogar abgesetzten Dache in den städtischen Bauten vereinzelt vorgedrungen; bis er allmählich auch auf den Dörfern Eingang fand. Man nannte ihn den ‚schwäbischen‘ im Gegensatz zum flachen ‚bayrischen‘ Dachstuhl. Bis zum Jahre 1890 war er fast überall schon ausschließlich verbreitet, bis auf einzelne Häuser in und um Eisenstein und die Häuser der Wallerner Gegend.“ (Josef Blau)[4]

Das Vorkommen des Böhmerwaldhauses ist auf den hohen Böhmerwald begrenzt, im Vorderen Bayerischen Wald und im böhmischen Vorwald ist es nicht belegt. Es hat vermutlich das Wohnstallhaus (und Wohnstallstadelhaus) mit dem gering geneigten und mit Legschindeln belegten Dach des alpenländischen Typs (Dům alpského typu) abgelöst, das sich im Bereich der Ortschaft Wallern (Volary) länger erhalten hat. Das Walmdach mit Roggenstrohdeckung ist nicht unmittelbar Vorläufer des Schopfwalmdachs des Böhmerwaldhauses. Die Scharschindeldeckung konzentriert sich auf die höherlagigen Regionen, wo Nadelholz stets preiswert verfügbar war, Stroh des Brotgetreides (Roggen), welches an das Vieh verfüttert wurde, jedoch stark eingeschränkt.

Im Bayerischen Wald ist dieser Haustyp bis auf ganz wenige Denkmäler in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch Verfall, massiven Umbau oder Abbruch verschwunden. Im Böhmerwald, der Šumava, sind mehr Häuser dieses Typs erhalten geblieben.

Das Freilichtmuseum Finsterau hat dem Böhmerwaldhaus in der Ausstellung der Außergefilder Stube[5]eine Informationseinheit gewidmet. Aus der Einleitung: „Als würden sie sich ducken unter den Streichen des Böhmwindes und den Schneelasten, so sehen die alten Häuser des Böhmerwaldes mit ihren steilen Dächern aus.“

Bedeutende Bauten

Der Markt Kuschwarda (Strážný) liegt an der für den Bayern-Böhmen-Handel bedeutsamen Straße, die aus Philippsreut kommend nach Prachatitz und Prag weiterführt. Ein ganzer Straßenzug war beidseits eng mit Böhmerwaldhäusern bestanden.[6] Am 5. Juni 1922 brannten die Häuser bei einem Großbrand nieder. Die Turnerhütte an der Widra[7], direkt an der aus Mader herführenden Straße gelegen, war Wirtshaus für Fuhrleute, aber auch Ziel früher Touristen aus den böhmischen Städten Österreich-Ungarns. 1888 wurde sie im Stil der Böhmerwaldhäuser errichtet, durchaus schon im Bewusstsein des Bauens im Heimatstil. 1932 zerstörte ein Brand das Haus, aber bereits 1934 wurde es wieder errichtet, nun mit mehr Komfort für Touristen.

Das Schanzer-Häusl aus Riedelsbach

Ein Bauernhaus des Typs Böhmerwaldhaus stand im Entwicklungsprogramm (1987) des Freilichtmuseums Finsterau. Im Oktober 1999 eröffnete sich die Möglichkeit, eines der wenigen im Inneren Bayerischen Wald erhaltenen Häuser dieser Art zu bergen, das kleinbäuerliche Wohnstallstadelhaus mit dem Hausnamen Schanzer-Häusl aus Riedelsbach, Gemeinde Neureichenau, Landkreis Freyung-Grafenau. Im Jahr 2000 erfolgten Dokumentation und Abbau in Riedelsbach, außerdem die Einlagerung in Finsterau.
Der Wiederaufbau erfolgte 2005 bis 2007. Das Anwesen ist im Museum wie am Ursprungsstandort an einem nach Süden geneigten Hang platziert, das Schopfwalmdach ist nach Bildbelegen und Gefügebefund rekonstruiert. Das Haus birgt eine urtümliche Rauchkuchl mit gemauertem Backofen und offenem Herd, in der Stube ist ein Sesselofen rekonstruiert.

Das Schanzer-Häusl ist ein Einfirsthof mit scharschindelgedecktem Schopfwalmdach. Es wurde in der Streusiedlung Riedelsbach am Rand des Böhmerwaldhauptkamms um 1826/40 erbaut. Die Stube ist in Blockbau errichtet. Keller, Kammer, Rauchkuchl und Stall sind in Natursteinmauerwerk ausgeführt.

Der Šumavský dům in Chalupy

In der Stube des Herrn Pěnek in Chalupy, 1991 (Photo: Josef Lang)

Als bedeutendstes Baudenkmal des Typs „Böhmerwaldhaus“ ist ein Haus in Chalupy (Deutsch Chaluppen) bei Stachau (Stachy) erhalten.[8] An die Stube wurde nachträglich traufseitig eine Austragskammer mit eigener Küche angefügt. Es ist mit einem eigenen Walmdach versehen, das zum Haupthaus hin in einem tiefen Graben anschließt.
Die Blockwände der Stube sind nur ausgefugt. Den Herdwinkel füllen ein von der Rauchkuchel aus zu beschickender Backofen und ein großer Sesselofen.
Das Freilichtmuseum Finsterau hat 1991 eine Photodokumentation, 1993 ein einfaches Bauaufmaß anfertigen lassen.[9]

Literatur

Die Turnerhütte, ein Gasthaus an der Straße zwischen Mader und Bergreichenstein, 1888 im Stil der Böhmerwaldhäuser errichtet, 1932 abgebrannt
  • Josef Schramek: Das Böhmerwaldbauernhaus. Mit zahlreichen Textskizzen, Plänen, Autotypien. Prag (J.G. Calve’sche k.u.k. Hof- und Universitätsbuchhandlung) 1908 (=Beiträge zur deutsch-böhmischen Volkskunde IX. Band, 1. Heft
  • Josef Blau: Deutsche Bauernhäuser aus dem Böhmerwalde. Olmütz 1938
  • David Mičan: Územní okruhy lidové architektury. Hauslandschaften. In: Martin Ortmeier (Hg.). Bauernhäuser in Südböhmen. Jihočeská lidová architektura. Passau 1992, S. 60–79 (zum „Dům alpského typu“ s. S. 74–79)
  • David Mičan und Martin Ortmeier: Památky a památková péče. Denkmäler und Denkmalpflege. In: Martin Ortmeier (Hg.). Bauernhäuser in Südböhmen. Jihočeská lidová architektura. Passau 1992, S. 152–197
  • Georg Waldemer: Hauskundliches Dokumentationsmaterial zu Südböhmen im Archiv für Hausforschung – Etnografický dokumentační materiál jižních Čech v archivu pro výzkum staveb. In: Martin Ortmeier (Hg.). Bauernhäuser in Südböhmen. Jihočeská lidová architektura. Passau 1992, S. 198–214

Anmerkungen

  1. Belegt sind auch Häuser mit Vollwalm, z.B. in Haidl am Ahornberg bei Bergreichenstein (Kreis Klattau), Abb. von 1944 in: Martin Ortmeier Martin (Hg.), Bauernhäuser in Südböhmen. Jihoceská lidová architektura, Passau 1992, S. 149. Der Wirtschaftsteil kann, wenn die Fassade von der herrschenden Windrichtung abgewandt ist, auch ohne Walm als einfaches Satteldach ausgeführt sein. So war der in jüngerer Zeit erweiterte und mit höherer Firstlinie erneuerte Stallstadelbereich bei diesem Anwesen in Haidl beschaffen.
  2. Arbeiten der Heimindustrie, die in der Stube ausgeführt wurden, waren z. B. die arbeitsteilige Hinterglasmalerei, die Montage und Bemalung von Vogelbauern, gelegentlich auch Bitzlerarbeiten wie das Schindelmachen und die Holzschuhfertigung (Böhmschuhmachen).
  3. Siehe: Österreichischer Ingenieur – und Architektenverein (Hg.), Das Bauernhaus in Österreich-Ungarn, Wien/Dresden 1906, Atlasblatt 61 „Böhmen Nr. 16“, ein Bauernhof in Großhaid (Kreis Klattau)
  4. Josef Blau: Böhmerwälder Hausindustrie und Volkskunst, Band 1, Wald- und Holzarbeit, Prag (Calve) 1917/18 (= Beiträge zur deutsch-böhmischen Volkskunde, Band 14,1), S. 8
  5. Außergefilder Stube, eingerichtet 2008 in einem bis dahin ungenutzten Raum im OG der Ehrn; Konzept und Texte: Dr. Martin Ortmeier
  6. Abbildung in: Martin Ortmeier, Herent und drent. Alte Bilder aus dem Bayerischer Wald und dem Böhmerwald, Regenstauf 2018, ISBN 978-3-95587-061-4, S. 50
  7. Abbildung in: Martin Ortmeier, a. a. O., S. 144/145
  8. Siehe: Martin Ortmeier und Martin Weiß, Ein Kleinbauer im Böhmerwald – von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Malorolník na Šumavě – současnost minulého, in: Martin Ortmeier (Hg.), Bauernhäuser in Südböhmen. Jihočeská lidová architektura, Passau 1992, S. 94–104
  9. Dokumentation Chalupy unter der Leitung von Dr. Martin Ortmeier: Archiv des Freilichtmuseums Finsterau, Az. F 4.3.7 und F 5.5.10