Fall Tann

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Als der damalige Pfarrer der Rottaler Pfarrei Tann, Franz Xaver Neun, am 27. März 1954 ein Paar, das keine standesamtliche Trauung vorweisen konnte und auch nicht beabsichtigte, dies nachzuholen, kirchlich traute, handelte sich der Geistliche damit eine Menge Ärger ein und kam in die Schlagzeilen der Boulevardpresse. Als „Fall Tann“ machte seine Verfehlung Geschichte.

Wie es dazu kam

Die Braut Anna Weizhofer war eine Kriegswitwe und lebte in „wilder Ehe“ mit Ludwig Stallhofer, einem Milchfahrer. Beziehungen wie diese wurden damals auf dem Lande gar nicht gerne gesehen. Pfarrer Neun drängte auf eine Heirat, um die so genannte Onkel-Ehe zu beenden. Doch das Paar befand sich in einer misslichen Situation: Schließlich bezog die Frau monatlich 100 Mark Witwenrente, die sie durch Heirat verloren hätte. So stellte das Paar zur Bedingung, man wolle nur kirchlich heiraten.

Der Pfarrer wollte sich absichern und schrieb in dieser Sache einen Brief an das Ordinariat in Passau. Damals war laut Gesetz eine ausschließlich kirchliche Trauung nur dann möglich, wenn einer der Partner in Lebensgefahr schwebte oder es sich um einen „schweren sittlichen Notstand“ handelte, den der Bischof bestätigen musste. Der damalige Generlavikar Franz Seraph Riemer sah die Partnerschaft des unverheirateten Paares tatsächlich als sittlichen Notstand und erteilte Pfarrer Neun die Trauerlaubnis. Öffentliches Aufhebens aber sollte aus der Sache nicht gemacht werden. Das Brautpaar trat heimlich vor den Taualter.

Die Folgen

Einige Tage später besuchte Pfarrer Neun den damaligen Bürgermeister von Randling, Josef Hennersberger, und erzählte ihm die Geschichte. Hennersberger bemerkte, dafür könne der Geistliche sogar ins Gefängnis kommen. Tatsächlich wurde die Sache bald publik und es kam zur Anlage gegen Generalvikar Riemer und den Pfarrer. Namenhafte Rechtsanwälte boten ihnen eine kostenlose Verteidigung an. Was folgte, war ein großes Medienecho.

Dutzende Reporter besuchten die kleine Gemeinde Tann, um über diesen Präzedenzfall zu berichten. Das betroffene Paar und der Pfarrer begrüßten laut dem Zeitzeugen Josef Zankl die Journalisten mit offenen Händen und schilderten ihre Lage. Stallhofer und Weizhofer nutzten die Gelegenheit, um ihre Brieftaschen etwas aufzufüllen, indem sie sich küssend fotografieren ließen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb: „Unsoziale staatliche Gesetze dürfen Gläubige nicht in Gewissensnot treiben und ihnen die Sakramente vorenthalten“. Die Passauer Neue Presse war derselben Meinung, was diesen Musterprozess anging. Denn die Tatsache, dass gegen das kirchlich getraute Paar Anzeige wegen Konkubinat erstattet worden war, erschien widersinnig.

Konkubinat war zwar in dieser Zeit in Bayern eine Straftat, aber nur, wenn diese Situation öffentliches Ärgernis erregte. „In Wirklichkeit erregt ein kirchlich getrautes Paar, das nur in staatlichem Konkubinat lebt, beim gesund denkenden Teil unserer christlichen Bevölkerung kein Ärgernis, wohl aber die anderen Konkubinate ohne kirchliche Trauung“, heißt es im Kommentar der PNP.

Damals lebten viele Witwen in wilden Ehen, um die Rente und somit ihre Existenzgrundlage nicht zu verlieren. Eine kirchliche Trauung ohne Standesamt schien der einzige Ausweg gewesen zu sein, um weder Rente noch guten Ruf zu verlieren.

Mildes Urteil

Pfarrer Neun war der festen Überzeugung, er würde diesen Prozess gewinnen und dürfe auch weiterhin Brautpaare nur kirchlich trauen. Doch dem war nicht so. Die Angeklagten wurden für schuldig gesprochen, ihr Verhalten war zumindest eine Ordnungswidrigkeit, doch es blieb bei einer Verwarnung ohne Bußgeld, wie „Die Zeit“ 1955 berichtete.

Danach traute Pfarrer Neun nie wieder ein Paar ohne standesamtliche Bescheinigung. Er war ein pflichtbewusster Bürger, bekam sogar das Bundesverdienstkreuz, für seinen Einsatz im Gefangenlager in Pfarrkirchen (Dort war er stellvertretender Kaplan, bevor er nach Tann kam) und für die Gründung des St.-Josef-Seniorenheims in Tann.

Kurz nach dem Ende des Prozesses wurde Neun in die größte Pfarrei des Bistums, nach Zwiesel, versetzt. Kirchliche Kreise betonten, dies wäre bereits vor der folgenreichen Eheschließung so beschlossen worden. 1955 verließ Pfarrer Franz Xaver Neun nach nur fünf Jahren die Pfarrei Tann. Nach ihm sind Straßen in Pfarrkirchen und in Zwiesel benannt worden. Er liegt auf dem Friedhof von Zwiesel begraben. Ludwig Stallhofer und seine Anna starben 1965 bzw. 1963.

Nach einer Gesetzesänderung ist ab Januar 2009 in Deutschland das kirchliche „Ja-Wort“ auch ohne Standesamt möglich.