Flüchtlingslager im Landkreis Passau

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Junge DDR-Flüchtlinge freudestrahlend beim Grenzübergang Suben mit ihren DDR-Ausweisen. Foto: PNP.

Die Flüchtlingslager im Landkreis Passau wurden im September 1989 errichtet. Ungarn öffnete die Grenzen für DDR-Flüchtlinge, sie kamen über Österreich in den Landkreis Passau. Die ersten Tage wurden die Flüchtlinge in Zeltlagern untergebracht.

Vorgeschichte

Ungarn war im Frühjahr 1989 auf dem Weg der Loslösung vom sowjetischen Machtkomplex. Ungarn hatte den Helden des Volksaufstandes von 1956, Imre Nagy, in einer bewegenden Zeremonie bestattet und zu freien Wahlen aufgerufen. Am 25. August 1989 waren Ministerpräsident Miklós Németh und Außenminister Gyula Horn aus Ungarn nach Bonn gereist. Sie bekamen dort Kredite zugesagt zur Unterstützung auf dem riskanten Weg in die Freiheit und die Loslösung vom Ostblock. Die Ungarn hatten in Bonn auch angekündigt, die Grenzen zu öffnen. Am 4. September 1989 ging vom Innenministerium in Bonn ein Anruf im Landratsamt Passau ein.

Hanns Dorfner war stellvertretender Landrat in Passau. Landrat Baptist Kitzlinger war im Urlaub.

Hanns Dorfner nahm den Anruf von Horst Waffenschmidt entgegen. Waffenschmidt war Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern. Er hatte die Funktion als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen inne. Waffenschmidt teilte mit, dass Ungarn seine Grenzen für DDR-Bürger öffnen werde, dass mehrere tausend Flüchtlinge kommen werden und die Aktion mit dem Bayerischen Roten Kreuz organisiert werden soll.

Dorfner nahm Kontakt zum Bayerischen Roten Kreuz auf. Bernhard Pappenberger, stellvertretender Vorstand, sicherte die Unterstützung zu.

Errichten der Flüchtlingslager

Dorfner rief die Bürgermeister des Landkreises Passau an. Streng vertraulich musste alles geregelt werden. Die Nibelungenhalle, Universität oder Landwirtschaftsschule in der Stadt Passau wurden in Betracht gezogen. Doch schnell wurde klar, dass diese Gebäude nicht über genügend Platz verfügten, um die erwarteten Personen unterbringen zu können.

Dorfner überflog anschließend mit dem Hubschrauber den Landkreis Passau. Drei geeignete Plätze wurden ausgewählt.

Der erste in Haselbach in der Gemeinde Tiefenbach. Am dortigen Gramminger Freibad gab es einen großen Parkplatz und die nötige Infrastruktur. Bürgermeister Ludwig Rankl gab sofort grünes Licht.

Das zweite Lager wurde auf dem Berger-Parkplatz in Vilshofen errichtet. Hans Gschwendtner gab ebenfalls grünes Licht. In Vilshofen entstand das größte Lager in Niederbayern.

Am 10. September 1989, um zwei Minuten nach 11 Uhr erreichte die Einsatzleitung die Meldung, dass es losgeht. Einsatzkräfte, Behörden und Dienststellen wurden informiert. Fahrgemeinschaften wurden gebildet, Lunchpakete und heiße Getränke für die Erstversorgung vorbereitet.

Die DDR-Flüchtlinge haben Hochzeitsreisen nach Ungarn zur Flucht genutzt, Eltern oder Kinder zurückgelassen, Schwangere haben sich ohne den Partner abgesetzt und alle waren in der Heimat Staatsfeinde, die nicht wissen konnten, wie es mit der DDR weiterging. Trotz allem überwog die Freude nach der endlich gewonnenen Freiheit.

Die Tage ab dem 11. September 1989 waren mit der Auftakt zur friedlichen Revolution in der DDR. Bis zum 15. September 1989 war das Vilshofener Lager offen, bis 21. September 1989 stand die Zeltstadt in Gramming.

Die Zeltstadt auf dem Berger-Parkplatz aus der Luft. Foto: PNP.

Zeltlager Vilshofen

Rund 500 Vilshofener Bürger stellten über 100 Großzelte auf, statteten sie mit dem Nötigsten aus. Die Stadtwerke legten rund zehn Kilometer Leitungen, 60 Toiletten wurden installiert und mehrere Telefonzellen. Rund 4000 andere ehrenamtliche BRK-Helfer waren fast rund um die Uhr im Einsatz.

Am 10. September 1989 erfährt Hans Gschwendtner, dass um Mitternacht die Ungarn die Grenze öffnen. Gegen fünf Uhr morgens am nächsten tag werden die Flüchtlinge in Vilshofen erwartet.

Das Geschehen auf dem Bergerparkplatz in Vilshofen bestimmte natürlich die tägliche Arbeit in der Lokalredaktion Vilshofen. Täglich fand dort eine Pressekonferenz statt, in der Vertreter des Roten Kreuzes und des Bundesinnenministeriums die Journalisten von Presse, Rundfunk und Fernsehen informierten.

Auszüge aus dem Viechtacher Anzeiger

Wolfgang Bauer, Leiter der Lokalredaktion Vilshofen 1989, verfasste zwei Kommentare. Den ersten vor Ankunft der Flüchtlinge, den zweiten eine Woche später nach der Schließung des Lagers.

  • Gastfreundschaft (9. September 1989)

Was hat sich in der letzten Woche doch alles verändert in Vilshofen. Aus einem Parkplatz an der Aidenbacher Straße ist eine Zeltstadt für 630 Menschen geworden. Reporter aus dem In- und Ausland, Fernsehteams aus England und Japan berichten vom Berger-Parkplatz. Tatsächlich ist das, was sich zur Zeit bei uns abspielt und noch abspielen wird, beispielhaft und beispiellos zugleich. Nicht nur für das Rote Kreuz ist es die größte Operation seit Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern auch für die Vilshofener Bevölkerung überraschend und ungewöhnlich. Die Überraschung und Aufregung hat sich schnell gelegt und ist von einer Reaktion abgelöst worden, die den Vilshofenern ein gutes Zeugnis ausstellt. Hans Gschwendtner hat es auf den Punkt gebracht. „Wir haben in Vilshofen mit Asylbewerbern keine Probleme gehabt und mit unseren Landsleuten wird es die schon überhaupt nicht geben.“ Hilfsbereitschaft ist festzustellen, wohin man sieht. Da werden Spenden abgegeben, Vilshofener wollen DDR-Familien zum Essen einladen, Firmen bieten Arbeitsplätze an. Was zählen da schon die paar Zeitgenossen, die ihr Halbwissen über das Schicksal der DDR-Bürger und über das Leben im unfreien Teil Deutschlands nur von ihren Stammtischen beziehen. Die Menschen, die demnächst für zwei, drei Tage zu uns kommen, haben harte Wochen hinter sich. Aus dem ungarischen Lager kommend, werden sie ins nächste einquartiert, müssen um den Eintopf anstehen und Fragebogen ausfüllen. Helfen wir doch mit, dass der erste Eindruck von der neuen Heimat nicht der schlechteste ist, dass das Leben in der Zeltstadt, wenn es auch von kurzer Dauer ist, nicht zum trostlosen Lagerleben wird. Zwar wird die Zeltstadt für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sein (man will vermeiden, dass sie zum Ausflugsziel von Gaffern wird). Aber es wird trotzdem zu Begegnungen kommen. Die DDR-Flüchtlinge werden auch in die Stadt gehen. Und hier kann ihnen jeder zeigen, dass sie keine unwillkommenen Gäste sind.

  • Tränen des Dankes (16. September 1989)

Diese Woche werden viele von uns nicht so schnell vergessen. Es war ein historisches Ereignis, das wir in Vilshofen erlebt haben, hautnah, mitten in der Stadt. Für 1400 Flüchtlinge aus der DDR ist unsere Stadt zum Tor in die Freiheit geworden, zur Zwischenstation auf dem Weg in eine neue Zukunft. Hier machten viele von ihnen, ja fast alle, die erste Bekanntschaft mit den „anderen“ Deutschen, deren Bild ihnen „drüben“ auf Schritt und Tritt, Tag für Tag in den schwärzesten Farben gemalt worden ist. Der erste Eindruck ist oft der entscheidende. Deshalb hat es Aufrufe gegeben, den Mitbürgern aus dem anderen Teil Deutschlands den Start zu erleichtern. Wer miterlebt hat, wie am Montag in den frühen Morgenstunden die ersten das Lager an der Aidenbacher Straße betreten haben, mit kleinem oder gar keinem Gepäck, mit kleinen Kindern auf dem Arm, dem konnte nicht egal sein, was sich hier abgespielt hat. Das Zitat von der „Welle der Hilfsbereitschaft“ ist in den letzten Tagen oft strapaziert worden. Aber es ist richtig. Die Vilshofener haben geholfen, wo sie nur helfen konnten, und darauf können sie stolz sein. Nicht nur darauf, dass unsere Stadt in der bundes-, ja weltweiten Öffentlichkeit einen guten Eindruck hinterlassen hat, sondern darauf, dass ihre Hilfe so dankbar angenommen worden ist. „Vilshofen war für uns die Türe zur Freiheit“, so formulierte es einer der Flüchtlinge, „und diese Türe hatte keine Schwelle.“ Und ein anderer bedankt sich schriftlich „für die Herzlichkeit nach unserer Flucht aus der Identitätslosigkeit“. Kann man einen dank erschütternder ausdrücken als so, wie er auf einer Karten an zweiten Bürgermeister Hans Gschwendtner steht: „Wir drücken inniglich alle Bayern mit Tränen des Dankes“?

Zeltlager in Passau

Ins größte Hotel Bayerns wurde die Nibelungenhalle über Nacht umfunktioniert. Die Betten kamen mit dem Lastwagen aus München. Foto: PNP.

Bereits im August 1989 kamen Bürger aus dem ausblutenden Ostdeutschland nach Passau. Alle reisten sie über Ungarn und mit dem Zug. Doch diese Flüchtlinge verblieben nicht in Passau. Ihre Reise führte sie weiter in das Auffanglager in Gießen.

Am 11. September 1989 änderte sich die Lage. Um Mitternacht öffneten die Ungarn die Grenzen. Privatleute und Firmen engagierten sich gleichermaßen, um die Flüchtlinge versorgen zu können. Auch der ADAC rüstete sich für die Flüchtlinge, die in Trabant und Wartburg anreisten.

Vorerst war in Passau der Parkplatz am Gramminger Freibad in Haselbach vorgesehen. Staatssekretär Waffenschmidt erklärte diese Möglichkeit aber als nicht zumutbar. Über Nacht wurde umdisponiert. Die Nibelungenhalle wird zum Hotel umfunktioniert, aus München wurden Betten antransportiert. Die Halle wurde in vier Bereiche aufgeteilt: Im Foyer wurden Formalitäten erledigt, Familien schliefen im hinteren Drittel der Halle, Einzelpersonen in der Mitte. Der vordere Hallenbreich wurde zum Essen genutzt.

Am 12. September 1989 nachts rollten die ersten 5 von 37 Doppeldeckerbusse mit Flüchtlingen an. Eine Sonderausgabe der Passauer Neuen Presse wurde für die Neubürger gedruckt. Auf 24 Zeitungsseiten wurden Angebote über Wohnungen und Arbeitsplätze abgedruckt.

Literatur