Gammelfleisch-Prozess

Aus RegioWiki Niederbayern
Wechseln zu: Navigation, Suche
Dieser Artikel bedarf einer Überarbeitung.
Dieser Artikel wurde als überarbeitungswürdig markiert. Die Gründe dafür können Sie ggf. auf der Diskussionsseite nachlesen. Bitte helfen Sie mit, den Artikel zu überarbeiten und zu aktualisieren. Danach können Sie diese Kennzeichnung entfernen.
Metzger Konrad R. am letzten Prozesstag mit seinem Anwalt. Foto: Binder
Metzgermeister Konrad R. ließ sich nach Bekanntwerden der Vorwürfe neben zwei frisch geschlachteten Rindern von der PNP fotografieren. In seinem Betrieb ging es jedoch alles andere als sauber zu. Binder Foto: Binder

Im sogenannten "Gammelfleisch-Prozess" ist der Mettener Metzgermeister Konrad R. am 20. Oktober 2009 wegen des Handels mit Tonnen von verdorbenem oder minderwertigem Fleisch zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Das Landgericht Deggendorf verhängte zudem eine Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 30 Euro (9000 Euro) gegen den 56-Jährigen. Außerdem wurde gegen ihn ein Berufsverbot bis Mai 2011 erlassen. Bis dahin sind dem 56-jährigen Mettener jegliche Tätigkeit als Metzger und Schlachter sowie jeder Handel mit Fleisch untersagt. Ausgenommen sind der Handel mit lebendem Vieh und die bloße Vermittlung. Das Gericht befand Konrad R. schuldig, mit „nicht verkehrsfähigem Fleisch“ gehandelt zu haben. In 38 Fällen sahen die Richter Betrug, in 22 Fällen versuchten Betrug. Dazu kommen etliche Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz.

Die Anklage

Weit über zwei Stunden dauerte es, bis Staatsanwältin Gisela Schwack die Anklageschrift verlesen hatte. Schon in den Berichten über beanstandete Ware des Mettener Fleischhändlers kamen teils ekelerregende Details zur Sprache. Von nach Buttersäure stinkendem Rehfleisch, das teils mit Kot und Panseninhalt verunreinigt war, war ebenso die Rede wie von grünlich verfärbtem Bullen-Gulasch. „Der Geschmack erwies sich als alt, urinös, unrein und bitter“, urteilte das Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit über eine Probe Spanferkel-Rollbraten. „Stellenweise anfaul“, sagten die Kollegen aus Bayern zu einer ähnlichen Charge. Holländische Beamte, die 96 Kartons Schweine-Pfoten untersuchten, die der Mettener in einem Kühlhaus in den Niederlanden lagerte, kamen zu dem Schluss, dass bei 212 von 822 Proben das Fleisch für den menschlichen Verzehr nicht geeignet war. Die Bewertungen gingen dabei von „verwesend“ über „aasartig“ bis zu „bestialisch stinkend“. Dem Angeklagten wird auch vorgeworfen, minderwertiges Fleisch unter die bestellte teure Ware gemischt oder falsch deklariert zu haben, in einigen Fällen war das Mindesthaltbarkeitsdatum teils seit Jahren abgelaufen.

Unter den geschädigten Kunden befinden sich nicht nur regionale Großhändler, Metzgereien und Gastronomen, der Mettener hatte über Deutschland verteilt Geschäftsbeziehungen, daneben in Holland und über eine Firma in Wien sogar nach Weißrussland. „Dass die Russen sowieso alles fressen“, hatte der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft gegenüber einer Einkäuferin des Wiener Unternehmens erklärt. Nebenprodukte wurden auch bis nach Asien und Afrika exportiert.

Daneben hatte Konrad R. laut Anklage in vier Kühlhäusern in Metten, Ruderting und in den Niederlanden rund 70 Tonnen Fleisch zum Verkauf vorrätig gehalten, das teilweise genussuntauglich war. Dabei war der Kühlraum unter der Garage seines Privathauses noch nicht einmal genehmigt. Dazu kommen wiederholte Verstöße gegen das Berufsverbot, das das Amtsgericht Deggendorf im November 2006 im Zuge der Ermittlungen erließ. Er selbst gründete daraufhin eine Verkaufs- und Beratungsagentur und mischte sich auch in die Geschäfte der nun über seine Frau laufende Nachfolge-Gesellschaft ein. Wie ein Ermittler bezeugte, habe der erste eingestellte Geschäftsführer „nur auf dem Papier“ und dazu noch unentgeltlich gearbeitet.

Die Sicht der Staatsanwaltschaft

Zielstrebigkeit, Fleiß und ein „gesundes Erwerbsstreben“ bescheinigte Landgerichtsvizepräsident Heinrich Brusch dem 56-Jährigen. Von dieser Gewinnabsicht habe er sich offenbar dazu verleiten lassen, sich nicht an die Vorschriften zu halten, die zum Schutz der Bevölkerung gelten. R. habe dabei nicht nur gegen Lebensmittel-Vorschriften verstoßen, sondern auch versucht, Geschäftspartner über den Tisch zu ziehen. Schwer wog für das Gericht auch, dass der Mettener in vier Kühlhäusern erhebliche Mengen „bewusst nicht verkehrsfähiger Ware“ bereithielt. In einer Vielzahl von Fällen habe er in betrügerischer Absicht versucht, sie zu verkaufen. „Das waren keine Einzelfälle, da steckte System dahinter“, so Brusch. Dabei habe der illegale Kühlraum unter der Garage des Mettener Wohnhauses offenbar dazu gedient, dort Fleisch zu deponieren, das in der Firma nicht mehr gelagert werden konnte. Zu seinen Gunsten spreche neben dem Geständnis auch sein materieller Schaden durch die „Publicity“ des Falls sowie seine Unbescholtenheit. Weil verjährt, spielte es in diesem Prozess keine Rolle, dass der 56-Jährige in den 80er Jahren bereits eine Bewährungsstrafe wegen ähnlicher Delikte aufgebrummt bekommen hatte. Gegen „essenzielle Pflichten eines Metzgermeisters“ habe Konrad R. verstoßen. Damit und mit weiteren Geschäften nach Klageerhebung hatte Staatsanwältin Gisela Schwack ihre Forderung nach einem noch längerem Berufsverbot bis 13. September 2011 begründet.

Die Sicht der Verteidigung

Das Berufsverbot sei überhaupt voreilig und aus Angst von den Behörden ausgesprochen worden, hielt Verteidiger Klaus Zehner dagegen. Der Angeklagte habe nach einem Weg gesucht, seine Familie nicht ins Bodenlose fallen zu lassen, versuchte Anwalt Dr. Matthias Schütrumpf die andauernden Berufsverbotsverstöße seines Mandanten zu relativieren. Man solle bei der abgesprochenen Länge bleiben, damit dem Angeklagten nicht die Existenzgrundlage entzogen werde „und es zu keinen weiteren Mauscheleien“ komme. Verteidiger Klaus Gussmann verwies auf die guten Geschäftsbeziehungen seines Mandanten zu den regionalen Kunden. Er wollte die Lebensleistung von Konrad R. berücksichtigt wissen. Er sei „in ärmlichen Verhältnissen in Zwiesel im Bayerischen Wald aufgewachsen“ und habe ein florierendes Mittelstandsunternehmen aufgebaut. So ein „Selfmademan“ habe eben „Probleme damit, Ware, die er einmal gekauft hat, wegzuwerfen“, begründete Gussmann die etlichen Chargen Gammelfleisch, die selbst Jahre nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums noch in den Kühlhäusern lagerten.

Chronik des Skandals

Den Stein ins Rollen brachten keine peinlich genauen Kontrollen, sondern ein Koffer.

Sommer 2006: Brisante Aufzeichnungen eines Angestellten bringen die Ermittler auf die Spur des Fleisch-Großhändlers in Metten. Das Protokoll des Mitarbeiters befand sich in einem Aktenkoffer, den ein Schwammerl-Sucher im Wald bei Bernried gefunden und bei der Polizei abgeliefert hatte. Damals hatte der Besitzer angegeben, der Koffer sei ihm aus dem Auto gestohlen und dann vermutlich achtlos weggeworfen worden.

1. September 2006: Razzia in Metten, Ruderting und Regensburg: Polizei, Zoll und Veterinäre durchsuchen die Kühlräume am Firmensitz von Konrad R. in Metten sowie in Ruderting und Regensburg, wo der Metzger ebenfalls Fleisch eingelagert hatte. Auch das Wohnhaus in Metten gerät ins Visier der Fahnder. Unter der Garage befindet sich ein nicht angemeldeter Kühlraum. Etliche Tonnen Fleisch werden beschlagnahmt und in den folgenden Tagen untersucht. Teilweise wird dazu auch ein Kühlhaus des Zolls in Furth im Wald benutzt. Auch stellt sich beispielsweise heraus, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum des in Ruderting beschlagnahmten Fleisches teilweise bereits 2001 abgelaufen ist.

20. September 2006: Konrad R. bricht sein Schweigen. „Ich bin fasziniert von Fleisch“, sagt er gegenüber der PNP und bestreitet die Vorwürfe. Wenige Tage später meldet sein Betrieb Insolvenz an.

November 2006: Das Amtsgericht Deggendorf erlässt ein Berufsverbot gegen Konrad R. Daneben bestätigen Untersuchungsergebnisse den Verdacht der Ermittler.

14. Mai 2008: Die Staatsanwaltschaft Deggendorf erhebt Anklage.

19. Oktober 2009: Am Landgericht Deggendorf wird vor der 1. Großen Strafkammer als Wirtschaftskammer das Hauptverfahren eröffnet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm 26 tatmehrheitliche Fälle des Betrugs und 34-mal versuchten Betrug sowie 196 Fälle des vorsätzlichen Inverkehrbringens von zum Verkehr ungeeigneten Lebensmitteln vor.

Weitere Fälle

Berger Wild

Verbraucherminister Werner Schnappauf machte 2006 bundesweit Schlagzeilen mit seiner Aussage bezüglich des Passauer Wildhändlers Berger. Er bezeichnete dessen Fleisch als „Ranzig, stickig, muffig oder sauer“ riechend. Also Fleisch, bei dem der „Fäulnisprozess bereits eingesetzt“ habe.

Jetzt verklagt Berger den Freistaat auf 22,5 Millionen Euro Schadenersatz, denn er sei mit falschen Behauptungen in den Ruin getrieben worden. Er reichte eine Klage ein. Der Prozess fand am Landgericht München statt. Der Vorsitzende Richter Frank Tholl stellte zunächst die Fakten klar. „Eine Gesundheitsgefährdung ging von den beanstandeten Proben unstreitig nicht aus“, sagte er. Aber Lebensmittelkontrolleure fanden in dem Zerlegebetrieb des Passauer Wildhändlers Karl Heinz Berger unhygienische Zustände vor: verdreckte Messer, blutverschmierte Türen, schimmlige Wände. Schnappauf verhängte sofort ein Verkaufsverbot. Tage später meldete Europas größter Wildfleischhändler Insolvenz an. Das Landgericht Landshut verurteilte Berger im November 2006 zwar wegen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe, weil er Hirsch- als teures Elchfleisch verkaufte. Angesichts der schlechten hygienischen Zustände hätte wohl auch kein Normalverbraucher mehr das Fleisch gegessen. „Die Ware war aber gerade nicht verdorben“ und auch nicht von Bakterien befallen gewesen, stellten die Strafrichter fest. Darauf stützt Berger, der mittlerweile wieder Geschäftsführer einer Wildfirma in Kärnten ist, seine Schadenersatzklage. Laut Europarecht hätte Schnappauf die Verbraucher nur bei Gesundheitsgefahr warnen dürfen - so argumentierte sein Anwalt. Ob das stimmt, wollen die Münchner Richter sorgfältig prüfen. Auch die Höhe des Schadens ist strittig. Die Hauptforderung von 7,2 Millionen Euro entspricht dem Wertverlust der damals liegen gebliebenen Waren und Forderungen. Mit 15 Millionen Euro wird der Wertverlust der Firma selbst beziffert. Ein Urteil steht noch aus.

Literatur