Haberfeldtreiben

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„Verraten und verkauft“: Anton Prechtl verlas am 15.11.2008 in Ruhstorf in Versform, was die Bauern Gerd Sonnleitner vorwerfen. Foto: Gerleigner
2000 Bauern hielten das Haberfeldtreiben ab. Foto: Gerleigner

Das Haberfeldtreiben ist ein spektakulärer aus dem Oberbayerischen stammender Brauch, bei welchem ein nächtliches Feldgericht in der Nähe des Wohnortes einer öffentlich zu rügenden Person abgehalten wird. Der Haberfeldmeister trägt dabei im Fackelschein auf einem Bierfass stehend die Untaten der Person in Versform („Is des wahr?“) vor, die in dunkle Gewänder gehüllten Haberer erwidern bei Zustimmung unter ohrenbetäubendem Lärm mit: „Wahr is!“ Dem Kritisierten wird letztlich gedroht, im nächsten Jahr wiederzukommen, wenn er sich nicht bessert. Anders, als es der Name vermuten lässt, wird jedoch kein Mensch durch ein Feld oder Ähnliches getrieben.

Haberfeldtreiben 2008

Den alten Brauch des Haberfeldtreibens haben bayerische Landwirte am 14.11.2008 wiederbelebt und in einer Art Landgericht ihren Unmut über den Präsidenten des Bayerischen und Deutschen Bauernverbands, Gerd Sonnleitner, zum Ausdruck gebracht. Aufgerufen dazu hatten Bauern von der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL). 2000 Landwirte zogen in Sonnleitners Wohnort Ruhstorf an der Rott von der Niederbayernhalle zur Ortsmitte, wo der eigens engagierte Haberfeldmeister seine anprangernden Verse verlas.

„Is woahr?“ fragte Anton Prechtl regelmäßig - und die schwarz geschminkten Haberer, in schwarzen Mänteln, mit Hüten und Fackeln, antworteten „woahr is“, und lärmten dazu mit Glocken und Ratschen. Bis Anton Prechtl den Arm hob. Dann verstummte die Menge und hörte sich an, was der Haberfeldmeister noch zu kritisieren hatte: Bürokratie, die die kleinen Bauern ins Büro treibt, Einheitsbrei in den Fachzeitschriften, Horst Seehofer, den Raiffeisenverband, den Milchindustrieverband. Sonnleitner als Privatperson, um den gehe es gar nicht, machten die Veranstalter von vornherein klar. „Nicht Herr Sonnleitner ist das Problem, sondern die Einstellung zur Landwirtschaft des größten Teils der Verantwortlichen in der Politik und in vielen Verbänden“, erklärte beispielsweise Edith Lirsch aus Triftern, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Bayern (AbL), bei der anschließenden Kundgebung in der Niederbayernhalle.

Aus ganz Bayern waren die Landwirte angereist, zum Teil mit Bussen. „Neamd is Herr, a jeder is Knecht“, beschrieb Haberfeldmeister Anton Prechtl die Situation der Bauern. Die niedrigen Milchpreise und der Streit um die Milchquote, bei dem sich Sonnleitner nach Ansicht der Bauern falsch verhalten hat, waren Auslöser für das Treiben. Auf Sonnleitners Hof versammelten sich zur gleichen Zeit rund 150 Getreue aus ganz Bayern sowie die Verbandsspitze, um ihm Rückhalt zu geben. Den jetzt gezeigten Zusammenhalt wollen die Landwirte weiter nutzen: „Wir müssen den Druck bis zur Bundestagswahl aufbauen und halten“, forderte Mitorganisator Wolfgang König vom Landesverband Bayern der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Erwin Schneiderbauer, ein weiterer Organisator, kündigte an, die Haberer würden weitere „Verräter“ heimsuchen. Als Nächster stehe der Chef des deutschen Genossenschaftsverbands auf der Liste.

1500 Haberer versammeln sich 2009 zur "Abrechnung" mit dem Innenministerium und dem Bauernpräsidenten. Eigentlich aber sollte für gesunde Lebensmittel demonstriert werden. -Foto: Nöbauer

Haberfeldtreiben 2009

Protest gegen gentechnik-manipuliertes Saatgut: Von links Lisa Munz (Reichertshofen) und Dr. Peter Bernhart (Hög/beide Lkr. Ingolstadt) mit Fahnenschwinger Jörg Lochbrunner (Markt Rettenberg/Allgäu). -Foto:Nöbauer

Am 13.11.2009 fand in Ruhstorf an der Rott das zweite Haberfeldtreiben statt, zu dem über 1500 Leute mit zwei Dutzend Bussen vom Fichtelgebirge bis zum Boden- und Königssee ins untere Rottal angereist sind.

Ursprünglich war das Haberfeldtreiben als Kundgebung für gesunde gentechnikfreie Lebensmittel aus bäuerlicher Hand, als Widerstand gegen die industrialisierte Landwirtschaft und als Kampf gegen den Ausverkauf von Bauernhöfen samt Feldern geplant. Doch nachdem der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sich mit scharfen Worten gegen das Haberfeldtreiben gewandt hatte, forderten sie nicht nur eine öffentliche Entschuldigung des Innenministers, sondern auch dessen sofortigen Rücktritt.
Herrmann stellte die Protestaktion der Bauern sogar in einen Zusammenhang mit den Nationalsozialisten: „Das hat nichts mit bayerischer Kultur und bayerischem Brauchtum zu tun, das ist nur eine persönliche Verunglimpfung und Diffamierung in einem Jargon, der das politische Klima in Deutschland in der Weimarer Republik vergiftet und letztlich dem Nationalsozialismus den Boden bereitet hat.“ Er kritisierte den Stil der Haberer und deren Sprache, die nichts mehr mit einer demokratischen Streitkultur zu tun habe. Auch passten mittelalterliche Rügegerichte nicht in das 21. Jahrhundert. Vor allem sollte aber die Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens tabu bleiben, forderte der Innenminister weiter.

Die unerwartet große Bauernschar mit Fackelträgern, jeder Menge Lärminstrumenten und Protestplakaten wurde von einer 50-Mann Blaskapelle begleitet und zog erst gegen 21 Uhr ins neue Ruhstorfer Marktzentrum. Dort prangerten dann AbL-Repräsentanten sowie Redner der Co-Organisation „Interessengemeinschaft für gesunde Tierhaltung“ (IGGT) in ihren Reden die Ungerechtigkeiten für den gesamten Bauernstand an.

Neben der Kritik an dem Innenminister Joachim Herrmann wurde auch, wie schon im Jahr 2008, Unmut über den Präsidenten des Bayerischen und Deutschen Bauernverbands, Gerd Sonnleitner zum Ausdruck gebracht.

Das Haberfeldtreiben soll auch 2010 wieder stattfinden.

Kritik

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner verurteilte das von protestierenden Bauern durchgeführte Haberfeldtreiben scharf und lehnt diese Form der Aueinandersetzung ab. „Wenn man sich mit der Geschichte des Haberfeldtreibens beschäftigt, so war das nie edles Brauchtum, sondern immer schon als hinterhältig und gemein verschrien“, so Sonnleitner. Da es im Zuge des Haberfeldtreibens häufig zu kriminellen Handlungen gekommen ist, wurde es früher streng geahndet und verboten. Der Bauernverband selbst kristisiert die Form des Protestes ebenfalls. Eine „normale“ Demonstration sei in Ordnung, aber ein Rügegericht, das früher unter Strafe stand und oft ausartend gegen unverheiratete Schwangere eingesetzt wurde, könne nicht geduldet werden.

Auch der Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), Ludwig Danner, verurteilte das Haberfeldtreiben, das 2009 in Ruhstorf stattgefunden hatte. Im Rahmen der Herbstkreisversammlung der Obmänner in Passau bezeichnete er das Haberfeldtreiben als „Schaden für die Bauern“. Durch solche Aktionen sieht er das Ansehen der Landwirtschaft gefährdet. Die Bauern sollten sich nicht auseinander dividieren lassen, sondern positive Signale aussenden.

Literatur

Weblinks