Jüdische Gemeinde Straubing

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Gemeindevorsteher Israel Offmann vor dem Schrank mit den Thorarollen. (Foto: Rammer/Zisler)

Die Jüdische Gemeinde Straubing besteht mit ihrer wechselthaften Geschichte seit der Mitte des 13. Jahrhunderts und stellt heute das Zentrum des jüdischen Lebens in Niederbayern dar. Ihr Gemeindegebiet umfasst ganz Niederbayern, mit Filialorten in Deggendorf, Landshut, Passau, Plattling und Vilshofen an der Donau. Mit knapp 1.800 Mitgliedern ist sie die nach München zweitgrößte jüdische Gemeinde in Bayern.

Geschichte

Hatte die Gemeinde bis Anfang der 1990er Jahre gerade noch 60 Mitglieder, wurde sie ab 1993 vor eine gewaltige Aufgabe gestellt. Es kamen ab diesem Jahr bis heute 3.300 sogenannte Kontingentflüchtlinge aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion nach Niederbayern. Sie durften einreisen, weil sie einen jüdischen Hintergrund hatten. Sie kamen nach Straubing, Grafenau oder Landshut. Die Gemeinde wuchs bis zur Jahrtausendwende an auf bis zu 1.800 Mitglieder. Die betagte Sekretärin und die zwei Leute um Israel Offmann, der bis dato als gefragter Holocaustzeuge, aber auch als Gemeindevorsitzender unermüdlich wirkte, stand vor großen Problemen. Seine Tochter Anna Deborah Zisler, damals bei der Regierung von Niederbayern beschäftigt, wechselte in das Gemeindebüro. Zusammen mit Svetlana Zap versuchte sie der Fülle Herr zu werden, auch und in erster Linie der Fülle an Problemen. Die Neuankömmlinge konnten meist kein Deutsch, bestenfalls das alte Jiddisch. Svetlana Zap sprach anfangs nur Englisch. Heute lacht die 46-Jährige, wenn sie von den Missverständnissen erzählt, die es wegen der Sprache gab. Längst spricht sie perfekt Deutsch und leitet das Betreuungsbüro mit zwölf Mitarbeitern im Gemeindezentrum direkt bei der Synagoge in der Wittelsbacherstraße.

Und sie und die 55-jährige Anna Deborah Zisler sagen: „Ja, es gibt wieder niederbayerisches jüdisches Leben.“ Sie sagen es mit einem „Aber“. Denn schon wieder droht die Überalterung. Von den 1.800 Mitgliedern ist nur noch die Hälfte da. Die Jugend und die mittlere Generation ist nach München oder nach Nürnberg gegangen. Wieder sind oft nur die Alten geblieben. „Den noch verbliebenen jungen Mitgliedern und Familien muss jetzt unser ganzes Augenmerk gelten“, sagt Zisler. Die Tochter Offmanns hat über die Arbeit mit den neuen Gemeindemitgliedern wieder zum jüdischen Glauben gefunden. Und Svetlana Zap hat verstehen gelernt, was sie in ihrer Kindheit in Russland bei der Oma sah. Das Jüdischsein, das Feiern des Chanukkafestes und von Purim, den gemeinsamen Kiddusch an Jom Kippur, das traditionelle Essen in der geschmückten Sukkah am Laubhüttenfest und nicht zuletzt die Sederabende an Pessach. All das, was ein Gemeindeleben nach den Vorstellungen des Judentums ausmacht, galt es wieder oder neu zu lernen.

Heute gibt es wieder Kindergeschrei in der 1907 fertiggestellten Synagoge, der einzig verbliebenen in ganz Niederbayern.. „Das stört nicht“, sagt Offmann, „das ist das beste Zeichen, dass wieder Leben da ist.“ Schlomo Appel (78), der Rabbi der Gemeinde, kann am Freitag und am Samstag seine Gemeinde versammeln, Gottesdienst feiern. Mindestens zehn erwachsene Männer müssen in einer orthodoxen Gemeinde anwesend sein. Ab 13 Jahren gilt man bei den Juden als Mann. Und es gibt wieder die Bar Mizwa (man kann dies mit der Firmung oder Konfirmation vergleichen). Männliche Kinder werden wieder beschnitten, auch wenn viele vor dieser Zeremonie am achten Tag nach der Geburt noch zurückschrecken. Mit der Beschneidung wird der jüdische Junge in den Bund Abrahams aufgenommen. Mädchen werden nicht beschnitten.

Die Straubinger Synagoge ist ein offenes Haus. Viele Leute aus nah und fern kommen, um sie zu sehen, mehr über das Judentum zu erfahren. Zisler und ihr Vater erzählen von vielen Schulklassen und neugierig fragenden Kindern. „Es gibt keine dummen Fragen. Wir lassen die Hosen runter, antworten auf alles“, lacht die agile rothaarige Frau auf dem Weg in die Synagoge.

Da schaut aus der Küche Zinaida Morduchovic (56) heraus. Sie stammt aus Litauen und ist die Köchin der Gemeinde. Für rund 50 Gemeindemitglieder kocht sie nach den Gottesdiensten, koscher natürlich, d.h. nach den jüdischen Speisegesetzen. Auch die doppelte Menge könnte sie bewältigen, meint sie und holt einen wunderbar duftenden Kuchen aus dem Herd. „Zuerst gehen wir in die Synagoge“, meint Israel Offmann, der Kippas (mit der Mütze drückt man die Ehrfurcht vor Gott aus) verteilt und dann den Schrein zur Thora, der wichtigsten Schrift der Juden mit den fünf Büchern Mose, öffnet. Ein letztes Mal äußert sich Israel Offmann, der die Hölle er- und überlebt hat, nochmal zu seiner Biografie: „Sehen Sie, deshalb bin ich am Leben geblieben. Nach Kriegsende lebten noch zwei Juden in Straubing. Der Jude lebt immer mit Wundern und Hoffnung. Ist dieses Gemeindeleben nicht ein Wunder?“

Literatur

Weblinks