Kubinjahr

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Alfred Kubin im Jahr 1904.

Das Kubinjahr fand 2009 anlässlich des 50. Todestages des Schrifstellers und Zeichners Alfred Kubin am 20. August 2009 statt.

Hintergrund

Die Idee zum Kubinjahr entstand im Mai 2005 und eine mündliche Finanzierungszusage erfolgte zwei Jahre später im Mai 2007. Danach wurde das Projekt bei der Europäischen Union eingereicht. Beteiligte Gemeinden sind Neuburg am Inn, Neuhaus am Inn, Schärding und Wernstein am Inn sowie die der Landkreis Passau, die Landesausstellung Oberösterreich und das Landesmuseum Oberösterreich.

Die Eröffnung fand am 27. März 2009 im Kubinhaus in Wernstein und im Kubinsaal in Schärding statt. Als Videostationen sollen das Stadtmuseum, der Schlosspark und das Wassertor in Schärding, das Kubinhaus in Wernstein, der Mariensteg und der Burginnenhof in Neuburg am Inn, sowie eine Felsengruppe am Neuburger Wald in der Vornbacher Enge dienen.

Die Finanzierung sah Einnahmen in Höhe von 470.000 Euro vor, darunter 225.000 Euro von der EU, 50.000 Euro von den beteiligten Gemeinden, 35.000 durch Sponsoring und 150.000 Euro vom Land Oberösterreich. In erster Linie handelt es sich um Bauhof-Leistungen, was den Rahmen an Kosten für die Gemeinden nicht sprengt, so Josef Schifferer, Bürgermeister von Neuhaus am Inn.

Theaterproduktion

Frei nach Alfred Kubin's Roman „Die andere Seite“ schufen drei junge Theaterleute ein Bühnenstück, das vorerst einmalig auf Schloss Neuburg aufgeführt wurde. Die rund 200 Besucher erlebten diese letzte Veranstaltung des Landkreis-Kulturreferats im Rahmen des Kubinjahres als ein starkes Stück Theater. Der Regisseur und Schauspieler Stefan C. Limbrunner machte aus dem Romanstoff eine eigene Geschichte und Dramaturgie.

Während er und seine Mitspielerin Lucia-Maria Hilbig den Mammut-Stoff zweieinhalb Stunden lang in mehrfachen Rollen ausdrucksstark darboten, drängte sich die Vorstellung auf: Hier hat sich ein Besessener einer besessenen Vorlage angenommen. Was bei Kubins Geschichte um ein Traumreich oft schwer nachvollziehbar ist, ist bei Limbrunner zwar nicht weniger geheimnisvoll, aber in eine schlüssige Dramaturgie umgesetzt, die sich auch Motiven aus Science-Fiction-Filmen bedient.

Mal verführerisch, mal verzweifelt bewegt sich diese Tänzerin in der Videoinstallation in Schärding. Zu sehen ist das Schauspiel über Kubins ambivalentes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht nur durch einen Holzschlitz. (Foto: Christine Pierach)
Fährmann Charon bringt einen Mann auf dieser sehr real wirkenden Leinwand ins Jenseits. (Foto: Pierach)
Ein Mann ertrinkt inmitten der Waldböschung von Neu. (Foto: Pierach)

Videoinstallationen

Niederbayern und Oberösterreich würdigen ihn unter anderem mit acht Videoinstallationen: Prof. Andreas Gruber, der in seiner Heimatstadt Wels in Oberösterreich lebt, ist Geschäftsführender Leiter der Abteilung Kino- und Fernsehfilm an der Münchner Filmhochschule und zeichnet für die Videokunst verantwortlich.

Mit den Filmschleifen zur „Bilderwelt Alfred Kubins als Naturschauspiel“ will Gruber „Kubins Bilder keinesfalls nachzeichnen. Es wäre lächerlich, seine Zeichnungen, seine Techniken zu kopieren oder imitieren zu wollen. Wir haben die Inhalte genommen und versucht, die Bilder in unserem Medium bestmöglich zu fassen,“ sagt er.

Schwerpunkt an den völlig unterschiedlichen, für sich schon spannenden Standorten der bis zu fünf Flachbildschirme ist Kubins zwanghafte Morbidität. Daneben dominieren sein alptraumhaftes Bestiarium, aber auch erotische Obsession, sein Blick auf Götzen und Gottheiten, Biografisches und Reflexion. Gruber assimiliert Gegensätze: Hightech und Landschaft, den Blick in und zugleich auf den Künstler Kubin.

Stationen

Neuburg: Masken und Demaskierungen In einer Nische der Burgmauer konzentriert sich das Geschehen auf zwei hochformatigen Monitoren auf „Selbstbetrachtung“. Die Antworten auf die Frage „Wer bin ich?“ hängen von der Perspektive des Betrachtens wie der des Betrachters ab. Kubin ließ Masken fallen, Gruber köpft einen Schauspieler, damit der sich selbst betrachten kann. Kubin betrachtet Kubin. Die begleitende, nicht minder schaurige Lautmalerei im Innenhof des Schlosses hat Nachbarn schon veranlasst, die Polizei nach dem Rechten sehen zu lassen.

Neuhaus: „Ich sah ein Gesicht“ Diese wohl aufwendigste Station am Radweg Vornbach - Schärding über dem Flussufer lässt den Besucher vom Holzbalkon über dem Inn auf drei Monitoren in der steilen Waldböschung blicken und auf zwei flache Querformate über einer Felsplatte, die selbst eine sechste Projektionsfläche darstellt. Tierköpfe, Kubinfratzen, Kaleidoskop-Gesichter, ein Ertrinkender, Vögel erscheinen, verschwinden. Alfred Kubin taucht auf dem Fels auf.

Wernstein: „Treibgut“

Existenzialismus und Expressionismus unterm Mariensteg: Am österreichischen Ufer liegt eine Zille, Kubins Zille, bepackt mit einem Radl, Kubins Radl, einem Koffer, Kubins Koffer, anderem Kram und einem querformatigen Flachmonitor. Auf ihm wechseln sich Flussbilder, Sterbeszenen und Biografisches Kubins an genau diesem Standort vor 80 und 50 Jahren ab.

Zwickledt: „Der Tod an der Arbeit“

Diese Bilder auf einem Monitor und einer Projektionsfläche zehn Zentimeter unter der Oberfläche des Teichs im Garten vom Kubinhaus sind die wetter- und lichtanfälligsten. Sie thematisieren Gewalt, Verführung, Sterben und Vergänglichkeit. Verscharrt hier ein Nackter (aufgenommen in einem Wald bei Wels im bitterkalten März) eine Nackte, läuft dort die sepiafarbene Wochenschau vom August 1958, wie Kubin im Sarg sein Haus für immer verlässt. Eine Wernsteinerin steht nun häufig an der Video-Brüstung, deutet auf ihren Vater, Josef Reisinger, damals einer der Sargträger.

Drei Stationen in Schärding

Wohl die konkretesten Bilder im realsten Rahmen: Im Stil einer Peepshow zeigt Gruber hier Kubins „gespaltenes und gebrochenes, ein ambivalentes Verhältnis zu Frauen“ mit einer Profitänzerin, die auf gebrochenen Spiegeln gleich vielfach mal verführerisch, mal verzweifelt unermüdlich tanzt. Um sie zu sehen, muss der Besucher auf ein Biertragerl klettern, durch einen hoch angebrachten Holzschlitz spähen. Kein anonymer Spanner kann sich aber vom Eindruck befreien, seinerseits von der Tänzerin gesehen zu werden.

Die poppigste Station zeigt in einem Kitsch-Kapellchen bei gefälliger Musik Kubins Auseinandersetzung mit Anbetung, mit Gottheiten. Nicht von ungefähr verselb-ständigt das Weihrauchfass sich, eigentlich doch bloß Utensil. Wieder tanzt die Tänzerin, wieder tauchen buddhistische Motive auf.

Es braucht schon einen zweiten und dritten Blick, um die Videobilder auf dem Charon der Unterwelt als solche von einem wahren Tor zum echten Inn hin zu unterscheiden. Auch hier zieht Treibgut, trauriges Treibgut, vorbei, konkretisieren Wellen sich zu Bildern, zu Gesichtern im Fluss, schwimmen Schlangen im Wasser auf den Betrachter zu.

Ähnlich der Schärdinger „Peepshow“, aber härter, bietet Gruber hier einen Blick durchs Schlüsselloch auf Kubins erotische Traum- und Alptraumbilder. Vordergründig Erwartbares wie Ramsch in einem billigen Sexladen wechselt mit den menschelnden Pausen und Pausenräumen zwischen den Auftritten ab.

Neue Galerie New York

Dass der Künstler 2008, im Vorfeld auf den 50. Todestag von Alfred Kubin im Jahr 2009 mit einer großen Ausstellung in der der Neuen Galerie in New York ausgestellt wird, werten Beobachter als kleine Sensation. Der Anstoß dazu kam aus Passau – von Gerwald Sonnberger.

In den letzten Jahren fand das Werk Kubins unter dem Aspekt Jahrhundertwende oder auch Vorläufer des Surrealismus in internationalen Ausstellungen große Beachtung, sei es in London, Madrid oder Verona. Die Kuratorin des Münchner Lenbachhauses, Annegret Hoberg, hat die Ausstellung in New York kuratiert und sich auf das Frühwerk konzentriert, auf Zeichnungen und Ölbilder von 1897 bis 1909. Neben Leihgaben von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München, das ein Kubin-Archiv besitzt, den Oberösterreichischen Landesmuseen Linz und der Albertina Wien werden auch Arbeiten von privaten Sammlern gezeigt.

Zahlreiche Bilder sind auch Kubin-Kennern nicht bekannt, weil sie bisher nicht öffentlich präsentiert wurden. Der Schwerpunkt der gut gehängten Ausstellung liegt bei „Sex & Crime“. Alfred Kubin hat das Unterbewusste an die zeichnerische Oberfläche gebracht: Chimären sitzen dem Menschen auf der Brust, der große Vogel Schicksal hält den kleinen Menschen in seiner Hand, ein übergroßer Affe vergewaltigt eine Frau, eine Vollbusige betet demütig ein übermächtiges männliches Rhinozeros an, eine Wehrlose wird dem Sonnengott, als heidnisches Opfer dargebracht; ein Geköpfter betrachtet sich selbst, der Tod erhält einen intimen Kuss, ein Rieseninsekt ist eine Tötungsmaschine. Kafkaesk und surreal mutet diese Welt des Alfred Kubin an. Fantastisch ist die Entwicklung seiner Motive, bei denen man auch die Einflüsse von Francisco Goya, Max Klinger und James Ensor entdecken kann.

Zahlreiche solcher Motive ließen sich noch aufzählen, die zeigen, dass bei Alfred Kubin der Sexus übermächtig war, die Frau einerseits als Bedrohung oder als gequältes Wesen gesehen wird. Wer Alfred Kubins Leben kennt, weiß, dass er als Zehnjähriger unter dem Tod seiner Mutter sehr gelitten hat und dass er als junger Mann von einer älteren Frau sexuell missbraucht wurde. Tod, Sterben, Gewalt und Vergewaltigung sind gerade in den frühen Jahren zur Obsession im Werk Kubins geworden.

Dass gerade das Thema „Sex & Crime“ natürlich die Amerikaner sehr anspricht, hat Dr. Peter Assmann von den Landesmuseen in Linz festgestellt. Und der Präsident des Hauses und der Stiftung, Ronald S. Lauder, freut sich, dass die Kubin-Schau eine der bestbesuchten Ausstellungen in seinem Museum ist.

Wie denkt eine amerikanische Ausstellungsbesucherin über Alfred Kubin? „Es sind die akuten Ängste und sexuellen Bedrohungen, die er darstellt. Wohl jeder empfindet einmal in seinem Leben Ähnliches“, sagt die Besucherin Mary Windler. Da ist es egal, ob dies ein Deutscher, Österreicher oder Amerikaner gezeichnet hat oder ein Deutscher, Österreicher oder Amerikaner dies betrachtet.

Literatur