Lenzengütl

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Hans Carossa mit seinem Sohn vor dem Lenzengütl 1913. (Foto: Stadtarchiv Passau)

Das Lenzengütl ist ein altes Landhaus in Seestetten, in dem einst der Dichter und Arzt Hans Carossa wohnte und schrieb. Es ist heute ein Kulturdenkmal.

Lage und Erscheinung

Das Lenzengütl steht zwischen Bahndamm und der Straße durch den kleinen, heute zu Vilshofen an der Donau gehörenden Ort Seestetten. Der Ort liegt im Donautal, nahe an Laufen- und Setzenbachtal sowie den dichten Wäldern des Neuburger Waldes. Das Anwesen liegt in einem verwilderten Garten, unweit einer alten Eiche, vor der ein Kriegerdenkmal steht. Heute sind die Fenster teilweise eingeschlagen, das Innere des unbewohnten Hauses ist marode und das Inventar verströmt modrigen Geruch. Auf dem großen Stadel liegt ein vom Sturm gefällter Baum, der das Dach eindrückt.

Schon zu Hans Carossas Zeiten war das Lenzengütl nicht mehr im besten Zustand. 1933 schreibt er einen Brief, in dem er „unsere alte Hütte“ erwähnt:

„Mir ist freilich noch nicht ganz klar, ob wir in ihr unsere Tage beschließen werden; wir haben wenig Sonne, und schon von September an legen sich die Morgennebel schwer herein; die unteren Räume sind vor Feuchtigkeit so gut wie unbewohnbar, es ,grabelt‘ überall, und schließlich läuft man Gefahr, samt dem Hause selber zu verschimmeln.“

Auch in seiner Erzählung „Geheimnisse des reifen Lebens“ (1936) beschreibt Carossa den schlechten Zustand des Daches, das den Regen durchlässt.

Geschichte

1890 hat der Lenzenbauer sein Anwesen, dessen Geschichte bis ins 17. Jahrhundert zurückzuverfolgen ist, nicht seinen Seestettener Verwandten, sondern seiner Nichte Maria Auguste, der Mutter des Dichters Hans Carossa, vermacht. Der Bauer war sich sicher, dass im Gegensatz zu seinen Verwandten Maria die alte Eiche am Setzenbach erhalten würde. Ab 1892 kam die damals noch in Pilsting lebende Familie Carossa in den Ferien ins Lenzengütl. 1897 zieht die Familie ganz nach Seestetten, wo Karl Carossa zunächst als Arzt praktiziert, bevor er 1900 eine Praxis in Passau eröffnet. Schwer lungenkrank, stirbt er schon 1906. Der Sohn, der selbst Arzt wird, verbringt viel Zeit in Seestetten. Hier lernt er seine Jugendliebe Amalie Danzer kennen, mit der er Donau und Laufenbach erkundet. Mit seiner Frau Valerie und dem 1906 geborenen Sohn Hans Wilhelm zieht Carossa zur kranken Mutter ins alte Bauernhaus und praktiziert als Arzt. Für den Dichter ist das Haus, in dem viele Generationen kamen und gingen, ein Ort des sich ständig erneuernden Lebens.

Von 1929 bis 1941 lebt Hans Carossa im Lenzengütl. Nach dem Tod der ersten Frau Valerie zieht er nach Rittsteig bei Passau zu Hedwig Kerber. Das alte Haus in Seestetten wird zunächst von Verwandten bewohnt, später steht es leer – mittlerweile seit Jahrzehnten. Erhalten bleiben nur die Möbel und Bücher, die Hans Wilhelm Carossa erbt und die 1989 in den Besitz der Stadt Passau übergehen. 2008 wird damit das Carossa-Zimmer in Vilshofen an der Donau eingerichtet.

Seit 2001 gehören die Gebäude und die rund 4.000 Quadratmeterfläche einer mehrköpfigen Erbengemeinschaft. Diese sei interessiert an einer vernünftigen Lösung und offen für Gespräche, was eine Verwertung betrifft. Die Städte Passau und Vilshofen, aber auch der Landkreis Passau stehen in der Verpflichtung, das unter Denkmalschutz stehende Haus als würdige Gedenkstätte für den Arzt und Dichter Hans Carossa zu erhalten.

Dichtmotiv in Carossas Werken

In vielen Gedichten und Prosatexten scheint auf, dass es glückliche Jahre sind, die der Dichter Hans Carossa im Lenzengütl in Seestetten verbringt, der Erde und ihren Kräften fast magisch eng verbunden. Carossa schildert in den „Verwandlungen“ den ersten Besuch im Lenzengütl, bei dem er gleich die vielgerühmte Eiche aufsucht und sich fortan in das Anwesen verschaut. In „Verwandlungen einer Jugend“ erzählt Carossa, dessen väterliche Vorfahren aus dem Ruhstorfer Raum stammten, warum seine Mutter das Anwesen erbte. Und auch das Gedicht „Die Ahnfrau“ entsteht 1913 zunächst unter dem Titel „Seestetten“.

Immer wieder ist Carossa im Laufe seines Lebens für lange Wochen im Lenzengütl, um zu schreiben, unter anderem das Gedicht „Im alten Hause beim Bahndamm“. In einem Brief aus dem Jahr 1943 ist zu lesen: „Die Verse vom alten Haus beim Bahndamm sind lange vor dem Krieg entstanden. Sie stammen aus Seestetten, wo wir wirklich in einem alten Hause dicht beim Bahndamm wohnten.“ Nicht nur das Geräusch der Züge wird ihm vertraut, ein ständig wiederkehrendes Motiv seiner Dichtung ist das „Murmeln des Brunnens vor dem Hause“. Das bekannte Gedicht „Der alte Brunnen“ nimmt hier seinen Anfang und wohl auch folgender berühmte Vierzeiler:

„Was einer ist, was einer war,
Beim Scheiden wird es offenbar.
Wir hörens nicht, wenn Gottes Weise summt,
Wir schaudern erst, wenn sie verstummt.“

Die Aufstauung der Donau infolge des Bau des Kachlet-Kraftwerks (1922 bis 1927) sorgen dafür, dass die wild rauschenden Flussgeräusche und der „große fließende Magnet“ verstummen. In „Geheimnisse des reifen Lebens“ ist dieses Geschehen, dass Carossa missfallen hat, nachzulesen.

Siehe auch

Literatur

Weiterführende Publikationen

  • Dr. Wolfgang Weiß: Hans Carossas Haus in Seestetten. Ein Kulturdenkmal mit ungewissem Schicksal. Dokumentation, zu beziehen unter Dr. Weiß’ Adresse: Haid 7 in Vilshofen