Plastiktütensammlung Eva Maria Öttl

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Austellung der Plastiktütensammlung Eva Maria Öttl in Linz 2010, ARS electronica.

Die Plastiktütensammlung Eva Maria Öttl besteht aus insgesamt über 10.000 Tüten, von denen ca. 5.500 archiviert und katalogisiert sind. Die Sammlerin Eva Maria Öttl lebt in Ruderting, womit ein Schwerpunkt der Sammlung in der Region Niederbayern liegt. Etwa 1.000 Plastiktüten stammen daher aus der Region Niederbayern, die restlichen 9.000 aus Deutschland und dem Ausland. Die Plastiktüten wurden im Jahr 2000 dem Stadtarchiv Passau übergeben. Aus Platzgründen sind sie in die Kommunalen Medienzentrale Passau in der Ilzstadt ausgelagert.

Unter den regionalen Tüten befinden sich sehr viele Tüten von Geschäften, die mittlerweile gar nicht mehr existieren und sind daher auch ein wichtiges zeithistorisches Dokument. Von den 5.500 archivierten Tüten liegen 4.900 Exemplare auch als digitale Bilddateien vor. Etwa 600 Bilddateien der Plastiktüten gelten derzeit als verloren, ebenso wie die vormals existierende Datenbank über alle 5.500 archivierten Tüten, die auch eine Zeit lang im Internet öffentlich abrufbar waren. Zudem ist die Originalsortierung nach Rückgabe der Exponate als Leihgabe an die ARS electronica für Ausstellungszwecke 2010 nicht mehr gewährleistet. 2006 wurde die Sammlung in einer Diplomarbeit an der FH Mainz thematisiert.

Eva Maria Öttl in der KMZ Passau im April 2011. (Foto: Oldenburg)

Geschichte der Sammlung

Eva Maria Öttl (* 1944) aus Ruderting, pensionierte Lehrerin, sammelt seit ca. 1985 Plastiktüten. Für die Heimatforscherin ist vorrangig der Erhalt der Firmennamen wichtig, weil dadurch Zukunft und Vergangenheit verknüpft werden.

Die Plastiktüten hat Sie sich auch von Freunden und Bekannten mitbringen lassen, unter dem Versprechen, dass „es ihren Tüten gut geht“ oder selbst in den verschiedensten Geschäften nach Exemplaren gefragt. Ihrer Ansicht nach sind die Tüten zu schade für die Mülltonne und die Wiederverwendung. Plastiktüten sind Ihrer Ansicht nach Zeitdokumente und Bilderbücher, die Geschichten erzählen. Auch das Design und die Form sagen vieles über die Herkunft der Tüte aus. Es ist ein guter Werbeträger, der allerdings nicht billig ist. So hat sie sich auch einige Tüten gekauft. Dies war aber meistens nur in den Luxusgeschäften im Ausland üblich.

Anfangs bewahrte Eva Maria Öttl die Tüten zu Hause in einer Bauerntruhe auf. Aus Platzgründen kaufte sie einen Schrank, der ausschließlich zur Aufbewahrung der Tüten genutzt wurde. Ihre Sammlung weitete sich aber immer mehr aus. Zunächst bot sie ihre Sammlung dem Heidelberger Verpackungsmuseum an, doch scheiterte dies letztlich daran, dass Sie ihre wertvolle Sammlung nicht ganz weggeben wollte.

Die Idee, in Ruderting – ihrem Heimatort ein Plastiktüten-Museum mit einem Heimatmuseum einzurichten, konnte sie nicht verwirklichen.

Als sie Ende der 1990er Jahre bei dem Leiter des Stadtarchivs Passau, Richard Schaffner, vorstellig wurde, hat sich dieser umgehend für die Tütensammlung interessiert und ihr die Übernahme ins Stadtarchiv zugesichert. Vom Jahr 2000 an arbeitete Eva Maria Öttl ihre eigene Sammlung innerhalb des Stadtarchivs Passau auf und konnte bis 2007 immerhin gut die Hälfte der Sammlung archivieren und katalogisieren.

Seit 2007 widmete sich Eva Maria Öttl wieder der Heimatforschung in ihrem Wohnort Ruderting. Nach Abschluss der Heimatforschung will sie sich aber erneut um ihre Sammlung kümmern und die restlichen Tüten archivieren. Dazu muss allerdings zunächst ein geeigneter Platz für die Aufbewahrung der Stücke gefunden werden. Das Stadtarchiv Passau verfügt derzeit über keine weiteren Kapazitäten, um eine aus konservatorischer Sicht einwandfreie Lagerung zu gewährleisten.

Die Plastiktüte als Kulturdenkmal

Ein Kulturdenkmal ist ein Zeugnis menschlicher Geschichte, Kultur und Entwicklung, an dessen Erhaltung die Öffentlichkeit Interesse zeigt. Die umfangreiche Sammlung hat Eva Maria Öttl dem Stadtarchiv Passau zur Aufbewahrung und Konservierung übergeben. „Manchmal bleibt vom Geschäft nur noch die Tüte.“ Bedauert die Heimatforscherin Eva Maria Öttl. Viele Geschäfte sind bereits in Vergessenheit geraten.

Ausstellungen

Burglengenfeld

Zum ersten Mal wurden die Sammlerstücke 1998 im Volkskundemuseum in Burglengenfeld ausgestellt. Die damals noch geringe Zahl an Plastiktüten weitete sich bis 2011 auf über 10.000 Stück aus.

Ausstellung auf der ARS electronica, Linz 2010.

Linz / ARS electronica Festival

Von 2. bis 9. September 2010 fand im Rahmen des „ARS electronica Festivals“ unter dem Titel „repair“ eine große Ausstellung statt. Alle 5.500 zu dieser Zeit archivierten Exemplare wurden für die Ausstellung weitergegeben. Die Tüten wurden in der Linzer Tabakfabrik, Magazin OG5 ausgestellt. Die Exemplare wurden nach Farbe, Rarität und Diversität sortiert an Leinen, die durch den Raum gespannt wurden, per Wäscheklammern angehängt.

Für die Linzer Ausstellung wurden alle 40 mit Plastiktüten gefüllten Schubkästen aus den speziellen Archivierungsschränken im Stadtarchiv Passau nach Linz gebracht. In den Schubkästen befanden sich die original sortierten, archivierten und katalogisierten Plastiktüten. Nach Rückgabe der Schubkästen aus Linz ist die Sortierung und Vollständigkeit nicht mehr gesichert. Zudem wurde bei der Entnahme der Schubläden der Schließmechanismus des Schrankes beschädigt. Seither ist die Suche nach bestimmten Tüten nur noch unter großem Zeitaufwand möglich.

Planung der Ausstellung in Passau.

Passau

Im Herbst 2010 war eine weitere Plastiktüten-Ausstellung in der Passauer Innenstadt geplant. Hunderte von Tüten sollten auf langen Wäscheleinen vom Passauer Bahnhof bis zur Ortspitze in der Altstadt aufgehängt werden. Sie wurde aber abgesagt.

Zweitexemplare

In Zukunft werden nur noch Zweitexemplare, die einen Teil der Sammlung ausmachen, für Ausstellungen bereit gestellt.

Archivierung

Die Archivierung von ca. 5.500 Tüten wurde in den Jahren 2000 bis 2003 im Stadtarchiv Passau von Eva Maria Öttl auf ehrenamtlicher Basis vorgenommen. Dafür wurden die Tüten zuerst nach Qualität, dann nach Ländern und darunter nach Städten sortiert. Jede einzelne Tüte wurde digitalisiert und mit einer Nummer versehen.

In einer Datenbank waren alle Tüten erfasst, bezeichnet und beschrieben. Die Datenbank selbst existiert heute nicht mehr, es ist nur noch eine Exceldatei mit einer Lister der 5.500 archivierten Tüten verfügbar. Bei Eingabe eines Suchbegriffes kann die gewünschte Plastiktüte schnell herausgegriffen werden. Die Plastiktüten werden in mehreren speziell für diesen Zweck konzipierten Archivschränken aufbewahrt. Alle Tüten sind durch dazwischengelegte überdimensionale Schutzpapiere voneinander getrennt und somit geschützt. Im Alterungsprozess treten die Weichmacher aus und würden die Tüten ohne geeignete Schutzmaßnahmen verkleben.

Plastiktüte vom Hotel Wilder Mann in Passau

Bei der aufwändigen Archivierung halfen ebenfalls die Kulturwissenschaftlerin Christiane Köppl, die einen Teil der Sammlung fotografierte und ein Ehepaar, welches das Schutzpapier zwischen die rund 5.000 Tüten legte.

Die Nummer EINS der Plastiktütensammlung ist der Plastiktüte vom Hotel Wilder Mann in Passau gewidmet. Zum einen, weil das Hotel ein Kulturdenkmal ist und zum anderen, weil der Besitzer Georg Höltl Museumsgründer des Glasmuseums Passau ist.

Datenbank

Alle 5.500 archivierten Plastiktüten waren in einer entsprechenden Datenbank erfasst, die über längere Zeit auch innerhalb der Homepage der Kommunalen Medienzentrale unter http://www.passau.de öffentlich abrufbar war. Nach einem Serverumzug vieler Daten der Stadt Passau im Jahr 2007 ging die Datenbank verloren. Seither sind die Fotos der Plastiktüten für die Öffentlichkeit nicht mehr greifbar. Die bis 2011 einzige Kopie der noch digital vorliegenden Bilder inklusive der Exceldatei mit der Auflistung aller Exponate befand sich in der Kommunalen Medienzentrale Passau.

Die Aufnahme der Plastiktütensammlung von Eva Maria Öttl ins RegioWiki im April 2011 macht erstmals wieder einen Teil der Sammlung für die Öffentlichkeit zugänglich.

Regionale Tüten

Von den 5.500 archivierten Plastiktüten sind ca. 1.000 Exemplare aus Niederbayern. Knapp 2.300 Tüten sind aus dem Rest Deutschlands.

Tüten aus dem Ausland

Über 1.500 archivierte Tüten sind aus 35 weiteren Ländern: Amerika, Australien, Belgien, Brasilien, Chile, China, Dänemark, Dubai, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Indien, Island, Irland, Italien, Japan, Kanada, Libanon, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Neuseeland, Österreich, Portugal, Russland, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien, Thailand, Tschechien, Tunesien, Türkei und Ungarn.

Anekdoten rund um die Sammlung von Eva Maria Öttl

  • Vor einer Reise plante Frau Öttl bereits einen Teil des Koffervolumens für ihre besonderen Souvenirs ein: „Ich habe extra weniger Kleidung mit in den Urlaub genommen, um mehr Tüten mit nach Hause nehmen zu können.“
  • Um im Ausland Plastiktüten sammeln zu können, hat sie sich in mehreren Fremdsprachen ein Grundvokabular angeeignet. In den jeweiligen Landessprachen beherrschte sie folgende Sätze: „Guten Tag, entschuldigen Sie bitte, haben Sie vielleicht eine Plastiktüte für mich?" Entweder sie bekam sie gleich, oder nach einem weiteren Satz: „Ich sammle Tüten aus aller Welt und Ihre Tüte kommt dazu." Dann auch, weil es damals der Wahrheit entsprach: „Ihre Tüte ist dann im Internet zu sehen."
  • Auch unbekannte Menschen halfen ihr beim Sammeln: Eine Frau machte sich aus Wien mit zwei Koffern voller Plastiktüten auf den Weg nach Passau, nur um Frau Öttl’s Sammlung mit ihrem „kleinen“ Tütenbestand zu erweitern.
  • Keineswegs immer selbstverständlich war es, dass sich Männer mit Plastiktüten sehen ließen. Das war Frauensache, genauso wie das Kinderwagenschieben! Dass heutzutage auch Männer Kinderwagen schieben und Plastiktüten tragen, bezeichnet Eva Maria Öttle mit einem Augenzwinkern die Emanzipation des Mannes.
  • Zu Weihnachten schickte sie oft Bekannten, die in der ehemaligen DDR wohnten, werbefreie Exemplare. „In der DDR waren Plastiktüten eine Seltenheit. Ich durfte nur Tüten ohne Werbung schicken, aber auch diese waren dort sehr beliebt“, schilderte die Heimatforscherin.

Kurzabriss der Geschichte der Plastiktüte

Christiane Köppl hat die „Geschichte der Plastiktüte“ in einer eigenen Arbeit umfassend dargestellt.

Hemdchenbeutel

Entwicklung

Die Tragetasche wurde im Zeitalter der Industrialisierung entwickelt. Die Tüten wurden zuerst per Handarbeit geklebt, 1873 wurde die erste Maschine von Amerika nach Europa exportiert. Fortan übernahmen Maschinen diese Arbeit, trotzdem wurden noch sehr viele Arbeitskräfte benötigt.

Plastiktüte ohne verstärktem Griffloch

Durch die stetig steigende Produktion wurde das Äußere der Tüten für die Industrie sehr interessant. Man machte das, was in der Tüte war, nach außen deutlich und verwendete die Tüte als Werbemaßnahme.

Plastiktüte mit angeschweißter Griffleiste

Zu Beginn gab es drei Varianten:

  • Den Hemdchenbeutel

Der Nachteil dabei war, dass die Werbung zusammengerafft und somit unleserlich wurde.

  • Die Tragetasche ohne verstärktem Griffloch

Auch diese hatte einen Nachteil, da der Griff oft ausriss.

  • Die Tasche mit angeschweißter Griffleiste

Diese Variante war sehr kostspielig, obwohl der Tragekomfort sehr hoch war.

Dennoch hatten alle drei Varianten den Vorteil, dass sie absolut wasserdicht waren.

Wandel in der Gesellschaft

Die ländliche Bevölkerung erhoffte sich durch die Arbeit in der Fabrik eine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Da sie ihre Lebensmittel nun nicht mehr selbst produzieren konnten, waren Sie auf das Angebot der Lebensmittelhändler angewiesen. Dadurch stieg die Zahl der „Tante-Emma-Läden“ rasch an.

Die Arbeiterwohnungen ließen aufgrund des Platzmangels keine Vorratshaltung zu, sodass die Leute jeden Tag zu den Händlern gingen, dieser packte die Ware dann in Tüten und der Kunde trug sie in Körben nach Hause.

Von Amerika ausgehend verbreitete sich der Supermarkt in ganz Europa. Sehr schnell kamen die praktischen Tragetaschen auf den Markt, um den Transport nach Hause zu erleichtern. Die Freiflächen dieser Taschen wurden sehr schnell als Werbeträger verwendet.

Die Plastiktüte – ein laufendes Plakat

Die Plastiktüte wurde zu einem bewegten Plakat mit 284 Sichtkontakten. Gerade Bekleidungsgeschäfte füllen die Flächen der Tüten mit viel Kreativität. Man erkennt an einer Tasche sofort die Qualität eines Geschäftes. Dabei scheuen die Hersteller keine Kosten, wenn sich ein Kunde etwas teures geleistet hat, soll er es auch angemessen nach Hause tragen.

Die Zweitverwendung

Etwa 3,2 mal wird eine Plastiktüte wiederverwendet. Jeder Bundesbürger braucht etwa 42 stück pro Jahr. Auch wenn es Sammlern weh tut – viele Objekte dienen als Abfalltüte, dienen Gipsarmen und –beinen als Wasserschutz beim Duschen und schützen Fahrradsitze ebenso wie Frisuren, wenn gerade kein Regenschirm zur Hand ist. Die kleinen Wintersportler nutzen sie oftmals auch als Schlitten.

Papier oder Plastik

In einer Studie des Umweltbundesamtes zum Thema Polyethylen- oder Papiertragetaschen, hieß es, dass zur Herstellung von Polyethylentaschen, also Plastiktaschen weniger Energie zur Herstellung benötigt wird, als bei Papiertaschen. Bei der Entsorgung auf Deponien oder Müllverbrennungsanlagen unterscheiden sich beide Typen nicht wesentlich. Das Problem liegt hier bei der Abfallmenge. Drei Milliarden Tüten überschwemmen jedoch die Umwelt jährlich. Letztlich liegt es aber am einzelnen Verbraucher verantwortungsbewusst zu handeln und die Wegwerfmentalität in den Griff zu bekommen.

Tüte der Passauer Neuen Presse.

Plastiktütensammlung in Bildern

Galerie

Für die Plastiktütensammlung beispielhaft ist die Auswahl der Passauer Filialen von Bilka. Die Niedrigkaufhauskette Bilka, eine Tochter der Warenhauskette Hertie, wurde 1952 gegründet. 1989 wurde sie wegen wirtschaftlichen Verlusten an ihre Konkurrenten Woolworth und Kaufhalle verkauft. Die Filiale in Passau wurde von Woolworth übernommen. Die Originalplastiktüten der Passauer Filiale sind in der Öttl-Sammlung erhalten.

Literatur

  • „Eingetütet“, Corinna Vogt, Diplomarbeit an der FH Mainz, SS 2006

Weblinks

Dies ist ein ausgezeichneter Artikel.
Diesem Artikel wurde am 27. April 2011 das Prädikat „Ausgezeichneter Artikel“ verliehen.