Rottaler Bauernhaus

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Das Rottaler Bauernhaus des Kochhofs wurde gerettet. Nach Massing transferiert, in Stand gesetzt und mit Leben erfüllt, ist es mit seiner hellen großen Schlafkammer im Obergeschoss heute ein Schmuckstück des Freilichtmuseums. (Foto: Martin Ortmeier)
Der Hausforscher Theodor Heck hat um 1950 beim Anwesen Hirschberger in Moosvogel bei Massing das aufwändige und reich mit Malerei und Zimmermannsschnitzwerk geschmückte Blockbaugefüge unter dem Dach photographiert.
In Riedertsham ist bis heute das 1834 vollständig im Blockbau errichtete Wohnhaus erhalten geblieben. Der Autor der Photographie (um 1910) ist unbekannt.
Manche Rottaler Bauernhäuser haben das Stibl (die Austragskammer im Erdgeschoss) mit je einem Fenster zur Giebel- und zur Traufseite. Das um 1995 abgebrochene Rottaler Bauernhaus in Untertattenbach bei Birnbach war so gebaut.

Das Rottaler Bauernhaus ist eine historische ländlich-bäuerliche Hausform, die durch Nadelholzblockbau, flach geneigtes Legschindeldach, doppelten giebelseitigen Schrot (offene Lauben) und systematische Grundrisse der zwei voll ausgebauten Geschoße bestimmt ist. Sein Vorkommen ist auf das südliche Niederbayern begrenzt. Im Rottaler Bauernhaus hat der mitteleuropäische Blockbau seine klassische Ausformung erreicht.

Beschreibung

Gefüge

Der Blockbau aus vierkant behauenen Nadelholzstämmen und das schwach geneigte, mit Legschindeln eingedeckte Satteldach (mit dem Giebel über der Längsseite des Hauses) sind der wesentliche Rahmen des bautechnischen Gefüges des Rottaler Bauernhauses. Die Blockwände sind an den Ecken ohne Vorkopf mittels schwalbenschwanzförmig gehauener Abblattungen miteinander verbunden, Zwischenwände sind durch rechtwinklige Schrote in die Außenwände eingefügt. Als Klingschrot sind die eingeblatteten Stirnseiten dieser Zwischenwandbalken an den Außenwänden sichtbar. Durch Witterung und statische Lasten stark beanspruchte Stellen besitzen jedoch den baugeschichtlich älteren Vorkopf. Die Vorköpfe an den Balken des Schwellen- und des Stirnkranzes und das an den Ortgängen und den Traufen weit vorkragende Dach lassen das Rottaler Bauernhaus etwas weniger hoch erscheinen, als es in Wirklichkeit ist.

Das Rottaler Bauernhaus besitzt ein voll ausgeführtes und gänzlich mit Wohnräumen ausgestattetes Obergeschoß. Die Zwischenböden ruhen auf Deckenbalken, die an den Umfassungswänden überkämmt oder – ähnlich den Zwischenwänden – eingeblattet sind. Diese Deckenbalken sind integraler Bestandteil des gesamten Blockgefüges. Ebenso homogen ist der Schrot, also die offene Laube vor der Wand des Obergeschosses, angefügt: Er ruht auf Konsolen, die Verlängerungen einzelner Wandbalken und der Deckenbalken sind.

Die Wände des Blockbaus steifen sich in ihrem kastenförmigen Verband gegenseitig aus. Die dreieckigen Giebelwände, die an den Ecken keine rechtwinklige Aussteifung mehr erfahren, werden durch eine Zwischenwand gestützt, die zu Gunsten der Nutzbarkeit des Dachbodens meist zu einer kurzen Stichwand (Hunte) reduziert ist. Die Türen, die eine Beeinträchtigung der Queraussteifung der Wände mit sich bringen, werden bereits im Zuge des Blockbaus mit errichtet: Schwelle und Sturz werden aus durchgehenden Blockbalken herausgearbeitet, die Seitenpfosten sind seitlich genutet, oben und unten mit Zapfen in Sturz- und Schwellbalken eingestellt.

Raumanordnung

Das Rottaler Bauernhaus wendet als Schau- und Sonnenfassade eine Giebelseite zum Hof. Der Eingang liegt immer an der Giebelseite. Die Tür begleitet ein Fenster, das häufig etwas kleiner ist als die Stuben- und Kammerfenster, sich also bereits an der Fassade als zum Flur zugehörig darstellt. Zwei Wohnräume flankieren die Fletz: eine Stube, die meist mit drei Fenstern zum Hof blickt, und eine kleinere Kammer, die an der Giebelseite meist zwei Fenster besitzt, das sogenannte Stibl. Da beide Räume, Stube und Stibl, eckständig sind, haben sie an den Traufseiten ebenfalls Fenster, meist entsprechender Anzahl.

Vor dem Obergeschoß verläuft über die ganze Breite des Hauses ein Schrot. Schrotsäulen, welche die Brüstung des Schrots aussteifen, sind an den Vorköpfen der Fußpfetten und an den Konsolen des Oberbodenschrots befestigt. Trotz seiner schmuckvollen Ausführung hatte dieser Schrot eine wesentliche Wirtschaftsfunktion als nicht bewitterter luftiger Trockenraum. Das Obergeschoß hat eine dem Erdgeschoß analoge Fensteranordnung, die Tür zum Schrot ist genau in Achse über der Eingangstür des Erdgeschosses angelegt. Vor dem Giebeldreieck ist ein schmaler Oberbodenschrot angebracht, die Tür zum Oberboden liegt ebenfalls in Achse mit den beiden anderen Türen.

Dass die Türenachse ein Stück aus der Mitte gerückt ist, gilt für fast alle Bauernhäuser vom Rottaler Typ. Auf diese Weise wird die Last des Dachfirstes über die Längswände der Diele (Flur Obergeschoß) und der Fletz (Flur Erdgeschoß) durch alle Stockwerke bis zum Boden abgeleitet. An solchen Details wird besonders deutlich, dass wir beim Rottaler Bauernhaus den Höhepunkt einer bautechnischen Entwicklung vor uns haben.

Der Hausflur, die Fletz, verläuft mittig, häufig bis zu einer Tür an der rückwärtigen Giebelseite. Er ist breit und wird über je ein Fenster an den beiden Giebelseiten belichtet. Den Flur flankieren Stube und Kammer. Hinter der Stube liegt die Küche. Der Ofen der Stube und der gemauerte Tischherd der Küche stehen „Rücken an Rücken“ an dieser Kommunwand. Ihre Rauchgase werden in einen Kamin abgeleitet, der an der Außenwand in eine Ecke der Küche eingebaut ist. Auf der anderen Seite der Fletz, hinter dem Stibl, das häufig den Altenteilern zustand, liegen zwei kleinere Kammern, die jeweils mit einem Fenster zur Traufseite blicken. Ihr Zweck war stets hauswirtschaftlich.

Das Obergeschoß hat denselben Grundriss wie das Erdgeschoß. Alle Zwischenwände lasten auf den Zwischenwänden darunter. Über der Stube liegt die ebenso große Schlafkammer der Bauerseheleute, ebenso blicken je drei Fenster zur Giebel- und zur Traufseite. Über der Fletz liegt die geräumige Diele, erschlossen über eine einläufige, gerade Treppe. Von dieser „Dilln“ führt eine Tür zum Hausschrot. Die weiteren vier Räume sind ausschließlich Kammern: für die Kinder, die weiblichen Dienstleute, manchmal – wenn im Erdgeschoß an Stelle des Stibls der Rossstall (Stall für die Zugpferde) untergebracht war – auch die Austrägler. Eine steile, einläufige Bodentreppe führt von der Diele aus in den Dachboden. Der Belichtung und Belüftung des Dachbodens dienen zwei kleine Fenster, die in den Winkeln des Giebels in den Blockbau eingelassen sind.

Geschichte

Das Rottaler Bauernhauses ist eng verwandt mit dem regional enger eingegrenzten und wohl auch etwas früher auftretenden Rottaler Stockhaus (auch Eggenfeldener Stockhaus), bei dem zwei Stallungen (für das Zugvieh und das Milchvieh) Stube und Fletz flankieren. Im westlichen und südwestlichen Bereich des Rottaler-Bauernhaus-Gebietes ist der Stall bis zuletzt im Haus verblieben. Manches Rottaler Bauernhaus, das ursprünglich den Rossstall im Haus hatte, wurde später umgebaut. Nach dem Vorbild des Rottaler Bauernhauses im östlichen Teil des Verbreitungsgebiets wurde dieser Stall zu Wohnräumen umgebaut, häufig in Ziegelbauweise.

Das Raumgefüge des Rottaler Bauernhauses kam offenbar den Bedürfnissen eines bäuerlichen Familienbetriebes entgegen, wie er wenigstens zwischen 1720 und 1850 bestand: mit Kindern, die mehr und mehr als Wert erachtet wurden, mit Austragsleuten, die in den Betrieb vertragsgemäß eingebunden blieben, und mit Dienstboten, deren Zahl nicht so groß war und die ihrer Herkunft nach nicht so entfremdet waren, als dass sie separat hätten untergebracht werden müssen.

Die Funktionsstruktur ist eng verknüpft mit der ästhetischen Struktur des Hauses, der reiche Dekor (vor allem des Schrotes, der Balkenvorköpfe und der Traufbretter) ist nicht lediglich appliziert, sondern, in eben dieser klassischen Ausformung, inhärenter Teil des Ganzen. Diese Hausform ist als die Vollendung des systematischen Blockbaus anzusehen, der seit dem späten Mittelalter in Ostbayern Standard geworden war.

Nur bei wenigen Hausformen lässt sich eine klassische Ausbildung der ästhetischen und funktionalen Gestalt definieren, wie dies beim Rottaler Haus der Fall ist. Seine Entwicklung und seinen hausgeschichtlichen Höhepunkt teilt das Rottaler Bauernhaus mit einer anderen klassischen Form des ländlichen Bauens, dem südostbayerischen oder, vereinfacht ausgedrückt, dem niederbayerischen Vierseithof. Beide besaßen mindestens zwischen 1750 und 1850 einen ähnlich hohen Statuswert für die Bauern der Region. Dieser Statuswert und seine ausgeprägte Funktionalität führten dazu, dass das Rottaler Haus in großer Zahl die Erneuerungen – vor allem den Ersatz durch Ziegelbauten – des fortgeschrittenen neunzehnten Jahrhunderts und sogar einiger Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts überdauerte.

Bedeutende Bauten

In Hinterskirchen (Gde. Beutelsbach, Landkreis Passau) stand bis ca. 2010 ein reich mit Schnitzdekor versehenes Rottaler Bauernhaus. Es war, mit der Datierung 1782, ein frühes in der Struktur voll elaboriertes Bauwerk dieser regionalen Hausform. An den Brettern des Oberbodenschrots waren Reste reicher (kaseingebundener) Zimmermannsmalerei zu erkennen.

Das Rottaler Bauernhaus des Kochhofs (Gde. Stubenberg, Landkreis Rottal-Inn) wurde 1982 in das Freilichtmuseum Massing transferiert und dort bis 1989 voll ausgestattet in einen umfassend rekonstruierten Vierseithof integriert.

In Hainthal bei Bad Birnbach steht eines der schönsten Rottaler Bauernhäuser. Die neugotische Auszier der Türen, der Schrote, Baluster und Säulen ist besonders fein.

Der Mittermayr-Hof in Riedersham (Gde. Haarbach, Landkreis Passau) ist mit seinen vier, einen großzügigen Innenhof umfassenden Gebäuden zwischen 1823 und 1834 nach Plänen des damaligen Bauern und Bauherrn Johann Mayer entstanden. Mayer wählte für das Wohnhaus seines neu errichteten Hofs die Hausform, die sich in den Jahrzehnten zuvor herausgebildet hatte: das sogenannte Rottaler Bauernhaus. Die fast vollständige Erhaltung des Hofs ist dem Denkmalpfleger Dr. Mathias Ueblacker und dem Eigentümer Franz Weinholzer (1926–2009) zu verdanken.

Das Geburtshaus des 1930 selig-, 1934 heiliggesprochenen Kapuzinerbruders Johann Birndorfer (Bruder Konrad, 1818–1894) in Parzham (Gde. Bad Griesbach, Landkreis Passau) ist in seiner Baustruktur gut erhalten. Es dient als Gedenkstätte.

Regionale Verbreitung

Der Hausforscher Theodor Heck (1896–1976) leistet eine sehr präzise regionale Eingrenzung des Verbreitungsgebietes des Rottaler Bauernhauses. Die westliche Grenze dieser Hausformenregion verläuft demnach von Altötting über Huldsessen, westlich von Eggenfelden, nordwärts bis Aufhausen. Dort erreicht sie die Vils, verläuft entlang dem Fluss Richtung Osten, ohne jedoch bis zur Donau zu gelangen. Südlich der Donau führt sie bis zum Neuburger Wald bei Passau, an dessen West- und Südgrenze sie den Inn erreicht. Der Inn bildet die Ost- und Südgrenze des Verbreitungsgebietes bis Altötting.

Literatur

  • Rudolf Hoferer: Die Bauernhausformen Bayerns. In: Das Bayerland Nr. 49, 1938, Heft 4, S. 103-108
  • Theodor Heck. Das Rottaler oder Innviertler Gehöft. Untersuchungen zu Hoferers Hauslandschaft 4b. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, 1955, S. 7-16
  • Mathias Ueblacker: Der Vierseithof des Mittermayr zu Riedertsham. Zu Buchführung und Bauunterlagen des Johann Mayer von 1822 bis 1850. Mit einem Beitrag aus den Sandbacher Geschichtsblättern, Heft 3, 1988 / und einer erläuterten Transkription zur Chronik von Johann Mayer „Beschreibung Oder Gründliche Denkmall, der Unglücks Fälle, Auf dem Pfadt Meines Lebens“ . München 2012, ISBN 978-3-86222-110-3.
  • Martin Ortmeier: Das „Rottaler Bauernhaus“ . In: Niederbayern. Bauernhäuser in Bayern. Dokumentation Band 5 (Hg. von Baumgartner, Georg und Helmut Gebhard). München, S. 89-96
  • Martin Ortmeier: Die schönsten Bauernhäuser des Rottals. Zeugnisse bäuerlicher Vergangenheit. Waldkirchen, 2002, S. 82
  • Das Blatt „BAYERN NR. 9“ aus der Mappe „Das Bauernhaus im Deutschen Reiche und in seinen Grenzgebieten" (=Reprint der Ausgabe Dresden 1906, hrsg. vom Deutschen Architekten- und Ingenieurverein; Hannover 1974/75) enthält ein Blatt, das sich einem niederbayerischen Vierseithof widmet. Die Graphik zeigt den „BAUERNHOF BEIM STALLEDER IN REUTH, BEZ.-AMT SIMBACH, NIEDERBAYERN“ . (Außergewöhnlich ist, dass das Wohnstallhaus, das ganz dem elaborierten Typus des Rottaler Bauernhauses entspricht, der für den Blockbau entwickelt wurde, ganz aus Ziegeln aufgemauert ist.)
Dies ist ein ausgezeichneter Artikel.
Diesem Artikel wurde am 2. November 2020 das Prädikat „Ausgezeichneter Artikel“ verliehen.