Schneekirche (2011)

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Das Logo der Jubiläumsschneekirche.
Die Schneekirche bei Nacht (Foto: Geisler).

Die Schneekirche war eine Kirche aus Schnee in Mitterfirmiansreut (Gemeinde Philippsreut). Sie wurde 2011 anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Schneekirche des Jahres 1911 auf Initiative des Fördervereins 100 Jahre Schneekirche Mitterfirmiansreut e.V. erbaut.

Der Verein hatte in den Wochen vor der Eröffnung der Schneekirche mit mehreren Rückschlägen zu kämpfen: Die teilweise zu hohen Temperaturen und der mangelnde Schnee, die bereits zur Verschiebung des eigentlich geplanten Eröffnungstermins – sie hätte bis Weihnachten 2011 fertiggestellt sein sollen – geführt hatten; die Mitteilung des Bischofs Wilhelm Schraml, die Kirche nicht weihen zu wollen; zuletzt die Ablehnung eines Förderantrags auf EU-Mittel.

Zur großen Eröffnungsfeier am 28. Dezember 2011 kamen rund 2000 Besucher. Diese Schneekirche erhielt durch Dekan Kajetan Steinbeißer die Segnung. Offiziell gesperrt wurde die Schneekirche am 6. März 2012, da die milden Temperaturen die Kirche langsam zum Schmelzen brachten. Ab dem 23. März 2012 brach die Kirche in sich zusammen.

Zahlen & Fakten

  • Außenmaße: 26 Meter Länge, 11 Meter Breite, 17 Meter Turmhöhe
  • Innenmaße: 14 Meter Länge, 6 Meter Breite
  • Verarbeitet wurden 1100 Kubikmeter Naturschnee.
  • Platz für rund 190 Personen (allerdings sollten sich wegen der Körperwärme maximal 80 Menschen im Kirchengebäude aufhalten)
  • Eintritt: 5 Euro (Kinder frei); Gruppe (ab 15 Personen) 4 Euro pro Person; Gruppenführung 35 Euro (plus Eintritt)
Die historische Schneekirche des Jahres 1911. (Foto: Sammlung Weishäupl)

Historisches Vorbild

Als die Mitterfirmiansreuter 1910 wegen eines starken Schneesturms die Christmette in Mauth nicht besuchen konnten, keimte in der Abgeschiedenheit zur Welt die Idee, eine Kirche aus dem Material zu bauen, das in reichen Mengen vorhanden war: aus Schnee. Der Initiator dieses Vorgehens war der damalige Kooperator von Mauth, Georg Baumgartner. Diese Schneekirche war 14 Meter lang, sieben Meter breit und fast vier Meter hoch. Nach Vorbild des Passauer Doms wurden auf der Frontseite zwei Türme errichtet. Am 28. März 1911 war das Kirchlein fertig.

Siehe Hauptartikel: Schneekirche (1911)

Vorbereitungen & begleitende Arbeiten

Marketingkonzept

Eines der Ziele des Projekts war es, Mitterfirmiansreut bekannter zu machen und Besucher anzuziehen. Geplant war, das Ereignis mit großen Angeboten an kulturellen Veranstaltungen aufzuwarten – beispielsweise mit musikalischen Veranstaltungen, volkskundlichen Abenden oder literarischen bzw. regionalgeschichtlichen Vortragsreihen. Die Schneekirche sollte auch Mittelpunkt von sportlichen und familiären Freizeitaktivitäten sein, etwa als Ausgangspunkt für Fackelwanderungen, Schneeschuhtouren auf dem Pilgerweg oder Schlittenfahrten. In der Schneekirche, so die Planung, sollten auch wöchentlich Andachten oder Gottesdienste stattfinden, auch Anfragen für Taufen und Trauungen gingen ein.

Durch Mitterfirmiansreut selbst wurde der „Schneekirchensteig“ gezogen, auch an die Wiederbelebung des alten, nur schwer auffindbaren Kirchensteiges nach Mauth, der bis 1930 benutzt wurde, war gedacht.

In Mitterfirmiansreut erinnerten schließlich nach dem Abschmelzen der Kirche ein leuchtendes Kreuz und verschiedene Infotafeln an das Ereignis. Darüber hinaus ist eine regelmäßige Wiederauflage der Schneekirche geplant, um das Konzept beständig weiterzuentwickeln und die Spannung zu halten.

Bei den Medien stieß das Vorhaben auf große Resonanz: So hat das Bayerische Fernsehen angekündigt, den Bauprozess der Schneekirche dokumentarisch festzuhalten. Antenne Bayern bot sich als Marketingpartner an und warb für das Projekt im Radio. Und selbst bis nach Rom bahnte sich die Nachricht den Weg: Radio Vatikan berichtete über das Kirchenprojekt und strahlte ein Interview mit Vorstandsmitglied Sepp Denk aus.

Partnergemeinde

Als Partner des Großprojekts konnte die tschechische Gemeinde Strážný gewonnen werden. Bürgermeister Jirí Vacek und sein Philippsreuter Amtskollege Alfred Schraml erkannten in dem Vorhaben des Schneekirchen-Vereins die Chance auf eine noch größer angelegte und vor allem grenzüberschreitende Maßnahme. In enger Absprache mit Euregio-Geschäftsführer Kaspar Sammer wuchs das Mitterfirmiansreuter Kirchenprojekt schließlich zu einer überregionalen Vision mit attraktiven Aktionen diesseits und jenseits der Grenze.

Als tschechisches Pendant zur Schneekirche kreieren böhmische Bildhauer in Strážný einen Eisskulpturenpark. Im Februar 2011 entstand der Eisskulpturenpark mit acht verschiedenen Mini-Schneekirchen. Ferner wurde ein grenzüberschreitendes Wanderwegenetz erschlossen, das auch Steige reaktiviert, die einst dem kommunistischen Regime zum Opfer gefallen sind. Die Pfade auf böhmischer Seite führen zum Teil durch ehemalige Dörfer, über deren Historie Thementafeln entlang des Wegeverlaufs informieren.

Winters wie sommers können Wanderer und Radfahrer künftig das neue Wegenetz nutzen, das nach Meinung Bernd Stiefvaters das Freizeitangebot sowohl für Einheimische als auch für Feriengäste beträchtlich erweitert. Das Projekt umschließt also auch die grenzüberschreitende Inwertsetzung einer fast vergessenen Kulturregion.

Außerdem wolle man im Rahmen der Partnerschaft einen Themenwanderweg „Verschwundene Dörfer“ schaffen, der den heute menschenleeren grenzüberschreitenden Weg zwischen Strážný und Mitterfirmiansreut wiederbeleben soll.

Finanzierung

Zur Planung des Vorhabens war ein Kleinprojekt aus den europäischen Strukturfonds genehmigt worden, auch die Gemeinde Philippsreut habe entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit mitgeholfen. Die beantragten 142.000 Euro aus Interreg-Fördermittel wurden abgelehnt, so dass der Verein ohne die Fördergelder der EU auskommen musste.

Zwar war der Bau der Kirche durch Sponsorengelder gesichert, nicht aber deren künstlerische Innenraumgestaltung, das kulturell hochwertige Rahmenprogramm, das systematische Besuchermanagement oder die professionelle Vermarktung des Großprojekts. Kurzum: Jene Positionen, die die Schneekirche zum nachhaltigen Erlebnis für den Landkreis Freyung-Grafenau und darüber hinaus gemacht hätten, mussten aus finanziellen Gründen gestrichen werden.

Baukonzept

So sollte die neue Schneekirche aussehen. (Foto: Atelier&Friends)

Bauweise

Nach intensiven Diskussionen hatte man sich letztlich für eine moderne Bauvariante der Schneekirche entschieden, die überregional für Aufsehen sorgen sollte. Vor 100 Jahren war die Fassade des Passauer Domes Vorbild, so dass damals dem Bauwerk zwei Türme gegeben wurden. Dank moderner Architektur und Technik können moderne Schnee- und Eisbauwerke in anderen Dimensionen errichtet werden.

„Wir standen vor der Entscheidung: Zitieren wir die alte Kirche oder probieren wir was Neues aus“, erinnerte sich Bernd Stiefvater. Und weil weder er noch einer seiner Vereinskameraden zu einer Lösung fanden, zog Stiefvater als „Geburtshelfer“ Lothar Nebl zu Rate. Der Chef der Grafenauer Kreativagentur Atelier & Friends erkannte sofort, dass die Schneekirche Potenzial birgt und Aufmerksamkeit erregen kann – sofern sie nur spektakulär genug inszeniert wird. Aus der Idee entwickelte Atelier & Friends ein Projekt mit umfassendem Konzept samt Logo und Marketingmaßnahmen – und holte für den baulichen Part Alfons Döringer vom Passauer Architekturbüro „koeberl doeringer“ mit ins Boot.

Döringer schuf einen Entwurf, der die historische Schneekirche in den Schatten stellt – auch, was die Größe des geplanten Gebäudes anbelangt: 26 Meter Länge, elf Meter Breite und 18 Meter Turmhöhe. „Die Kirche sollte eine sehr moderne Form erhalten und nicht nur als Skulptur dastehen, sondern nutzbar sein“, erklärte der Architekt. Zwar hielt er an der typischen Kirchenbauform mit Hauptschiff, Seitenschiff und Turm fest, die Einzelbauteile zur Kirche jedoch leitete Alfons Döringer aus der Bionik her. Er definierte als Leitmotiv Analogien zu Schneeverwehungen beziehungsweise zu Felsen, die vom Eis geschliffen wurden. Obendrein wurden Schnee und Eis als einzige Baustoffe eingesetzt. Auf eine Unterkonstruktion wurde verzichtet, stattdessen wurde eine metallene Leerform per Schneekanone beschneit. „Die Leerform prägt das Kircheninnere und leitet sich, ähnlich wie bei gotischen Kathedralen, vom Tragwerk ab“, erläuterte Alfons Döringer seinen Plan.

Da der Originalbauplatz der ersten Schneekirche nicht mehr zur Verfügung stand – hier steht heute die Mitterfirmiansreuter Expositurkirche –, sollte der Standort die über die Alzenbergstraße begehbare freie Fläche oberhalb des Ortes Mitterfirmiansreut unweit der Abfahrt des Kleinen Almbergliftes sein, oberhalb der Bebauung des Almberg-Dörfchens.

Statik

Das Plateau für die neue Schneekirche wurde im Oktober 2011 ausgebaggert. (Foto: Kolbeck)

Im Zuge der Entwurfskonzeption war das Passauer Ingenieurunternehmen „bulicek + ingenieure“ eingeschaltet worden, um sich der Statik der Schneekirche anzunehmen. Der Prüfingenieur und Prüfsachverständiger für Standsicherheit Prof. Dr. Hans Bulicek sah die Schneekirche als große technische und wissenschaftliche Herausforderung, weil Schnee in unseren Breiten nur als Einwirkung auf Bauwerke, quasi als Last, definiert, als Baustoff indes nicht bauaufsichtlich geregelt ist. Für die Verwendung von Schnee als tragendes Element gab es daher keine Berechnungsnormen, wie dies für Beton, Holz, Stahl oder Glas der Fall ist. Daher musste er Grundlagen der Technischen Mechanik mit wissenschaftlich anerkannten Verfahren der Sicherheitstheorie verknüpfen.

Weil Schnee, ähnlich wie Beton, Druckspannungen besonders gut abtragen kann, hielten die Ingenieure sogenannte „Druckmembranschalen“ für die ideale Tragwerksform der Schneekirche. Diese oval gekrümmten Wände leiten Beanspruchungen nur über Druckkräfte ab. Mit Hilfe computergestützter Strukturuntersuchungen konnten mögliche Formen des Schalentragwerks sowie dessen Wandstärken gut berechnet werden. Vorübergehende Formveränderungen des Bauwerks, etwa infolge von Schneefall oder Tau, würden beim Berechnungsmodell zusätzlich beachtet. „Form follows function“, brachte es Prof. Hans Bulicek auf den Punkt – und meinte damit: Wie im Brückenbau, so gilt auch für die Schneekirche, dass sich deren Form zwangsläufig aus der tragwerksplanerischen Funktion ergibt.

Da für Schneebauten keine Nachweiskonzepte vorlagen, basierte die Standsicherheit der Schneekirche auf wahrscheinlichkeitstheoretischen Betrachtungen. Die Statik der Kirche wurde allerdings sowohl während des Baus als auch nach der Fertigstellung fortlaufend via Monitoring kontrolliert. Wären nur kleinste Zweifel an der Standsicherheit aufgekommen, wäre die Kirche sofort für Besucher gesperrt worden.

Schließlich wurde im Oktober 2011 auf dem Berghang über dem Dorf ein Plateau geebnet, worauf die Schneekirche im Winter 2011/12 stehen sollte.

Höhepunkte des Rahmenprogramms

An die Schneekirche war ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm gekoppelt, das Michael Sellner, Impresario des erfolgreichen „Festspiels Leopoldsreut“, für die Mitterfirmiansreuter erarbeitet hatte. Von der feierlichen Eröffnung der Schneekirche am 28. Dezember 2011 über ein böhmisches Wochenende am 14. und 15. Januar 2012 bis hin zu einem Schneekirchenmarkt am 12. Februar zählte das Rahmenprogramm insgesamt rund 40 Veranstaltungen.

Das Interesse an der Schneekirche war bereits im Vorfeld enorm. Einige Reiseveranstalter boten den Besuch der Schneekirche bereits als Bustagestour an. Außerdem gingen mehrfach Anfragen nach Hochzeiten und Taufen ein.

Seit der Eröffnung war die Schneekirche von Montag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr zu besichtigen, montags zusätzlich bis 22 Uhr. An den Sonntagen gab es um 14 Uhr Führungen.

Schließung

Sepp Denk vom Förderverein vor der wegbrechenden Decke am 23. März 2012. (Foto: Jahns)
Das Gerüst der Schneekirche. (Foto: Kolbeck)

Am 6. März 2012 musste die Schneekirche aus Sicherheitsgründen aufgrund der milden Temperaturen gesperrt werden. Beim Turm war bereits deutlich das unter dem Schnee liegende Holzgerüst zu sehen. Auch die Außenhaut der Kirche wurde durch das Tauwetter bereits in Mitleidenschaft gezogen. Um keine Gefahr für die Besucher einzugehen, hatte man sich für die Sperrung entschieden. Allerdings konnte die Schneekirche weiterhin von außen besichtigt werden.

Ohne sie hätte es die Schneekirche nicht gegeben: Die vielen ehrenamtlichen Helfer waren ebenfalls zur Abschlusszeremonie gekommen.(Fotos: Jahns)

Die Vergänglichkeit sei stets Bestandteil des Projekts „Schneekirche“ gewesen. „Die Natur holt unser weißes Wunder jetzt wieder zu sich“, hieß es deshalb am 6. März auf der Facebook-Seite der Schneekirche. Auch der Schmelzvorgang stelle nun für die Organisatoren einen „spannenden und emotionalen“ Prozess dar. Durch die Sperrung der Kirche konnten einige geplante Programmpunkte nicht mehr stattfinden, darunter Wortgottesdienste, Schnee-Engel-Bauen, die „offene Führung“ oder der Kirchturmlauf.

Am 30. März 2012 wurde die Abschlusszeremonie gefeiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Schneekirche bereits kein Dach mehr. Knapp 100 Besucher nahmen teil, darunter vor allem die vielen ehrenamtlichen Helfer. Dekan Kajetan Steinbeißer bedankte sich in seiner Ansprache für „Mut und Engagement“ der Schneekirchen-Erbauer. In kleinen Flaschen sammelte man Schmelzwasser, das gesegnet wurde - was man damit anfangen wolle, stand noch nicht fest.

Über 25.000 Besucher – auch aus außereuropäischen Ländern – hatten die Schneekirche bis dahin besichtigt. Ein finanzielles Fazit wollen die Organisatoren erst in einigen Wochen ziehen. Ursprünglich hatte man gehofft, dass die Kirche bis Ende März geöffnet bleiben kann.

Galerie

Literatur

Weblinks