Sesselofen

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Die große Bauernstube in Dorfeisenstein (Špičák–Železná Ruda, CZ) hatte um 1930 einen gemauerten Sesselofen mit gekacheltem Ofenaufsatz und (gusseisernem) Wasserkessel (Foto: Max Nowak, Archiv Martin Ortmeier)

Der Sesselofen ist ein Ofentyp für die Wohnstube, der sowohl Kochherd als auch Wärmeofen ist. Im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert war er in Nordostbayern und im Böhmerwald eine dominierende Form des Herdofens. Er erfüllt auf kleiner Grundfläche drei Aufgaben des familiären Wohnens und Wirtschaftens: Erwärmen von Speisen (Kochen), Bereitstellen großer Mengen warmen Wassers und Heizen der Stube.

Beschreibung

Der Sesselofen in der Austragskammer (Foto: Martin Ortmeier)
Sesselofen in der Stube eines Bauernhauses im Unteren Bayerischen Wald (Foto: Archiv Martin Ortmeier)
Vorderansicht eines Sesselofens in Perlesöd bei Freyung im Bayerischen Wald (Graphik: Archiv Martin Ortmeier)
Seitenansicht eines Sesselofens in Perlesöd bei Freyung im Bayerischen Wald (Graphik: Archiv Martin Ortmeier)

Eine Kombination von einem geschlossenem sogenannten Sparherd mit einem nachgeschalteten, auf den Herd aufgesetzten kleinen Kachelofen wird wegen der prägnanten Form Sesselofen genannt. In den Herd ist häufig eine Backröhre aus Stahlblech eingesetzt. Der Kachelaufsatz enthält gewöhnlich eine oder zwei Wärmeröhren aus Stahlblech.

Der Funktionsablauf des Sesselofens folgt gewöhnlich folgender Regel: Der Herd hat eine schmale, von vorne über eine Schürtüre (Ofentürl) zu beschickende Feuerung. Der Abbrand erfolgt auf einem Rost, der von unten oder von vorne (Schürtüre mit Luftklappe) Sauerstoffzufuhr erhält. Auf dem gemauerten oder aus (ausgefütterten) Kacheln mit Klammern gefügten Herdkörper ruht eine stählerne Ofenplatte mit (zumeist) herausnehmbaren Ringen. Der Abbrand zieht von der Feuerung aufsteigend und dann sofort quer unter der Herdplatte zum Kachelaufsatz, an dessen Scheitel die Heizgase über einen gemauerten Zug oder eine Stahlblechrohr in den Kamin ausbrennen.

Neben der Schüre ist unter der Herdplatte (mit zirka 10 cm Abstand) ein Backrohr eingebaut.[1] Eine Umstellklappe lenkt bei Bedarf die Rauchgase seitlich an der Röhre nach unten, umströmt deren Boden und steigt an deren anderer Seite wieder nach oben, um dort in den Aufsatz zu münden. Die Röhren des Aufsatzes werden gewöhnlich immer umströmt.

Zwischen Backrohr und Aufsatzsockel (oder auch im Sockel des Kachelaufsatzes) ist meist ein „Wasserschiff“ – Grandl, eine rechteckige Blechkiste mit Deckel – eingebaut. Gelegentlich ist direkt neben der Feuerung ein gusseisernen Kessel eingemauert[2], dessen Wandung wahlweise (über eine zusätzliche Steuerklappe) mit den heißen Heizgasen versorgt werden kann. Der Rückstrom zum Kamin erfolgt dann im Rücken des Herdkörpers. Dieser Rücken kann alternativ zu einem freistehenden seitlichen Kachelaufsatz mit Kacheln ausgeführt und mit Heizgaszügen ausgestattet sein.

Geschichte

Die Entwicklung des sogenannten Sparherdes ist eine Errungenschaft des frühen neunzehnten Jahrhunderts. Sein Holzbedarf für das Kochen und das Erhitzen von Wasser ist deutlich geringer als auf dem offenen Herdtisch. Voraussetzung war allerdings die industrielle und deshalb preiswerte Verfügbarkeit von Stahl für die Herdplatte. Im bürgerlichen Haushalt waren Wirtschaften und Wohnen und damit Kochen und Heizen räumlich getrennt. Im bäuerlichen Haushalt (vom großbäuerlichen abgesehen) Süddeutschlands hatte sich um 1800 die mehrfunktionale Stube (Wohnen, Werken und Kochen) allgemein durchgesetzt. Für sie war der Sesselofen eine gut geeignete Feuerstätte. Belege aus kleinbürgerlichen Haushalten sind nicht publiziert.

Sesselöfen sind nur in geringer Zahl, vor allem in den Freilichtmuseen, erhalten, z.B. in der Marxensölde im Freilichtmuseum Massing, außerdem in den beiden Austragshäusern des Petzi-Hofs und im Sachl des Freilichtmuseums Finsterau.[3]

Der Sesselofen in der Marxensölde wurde 1986 in Geisenfeldwinden (Stadt Geisenfeld) abgetragen[4], der zunächst 1987 in einer Sonderausstellung des Freilichtmuseums Finsterau (Keramik in Niederbayern, 17. Juli31. Oktober 1987) aufgebaute große Sesselofen aus Perlesöd (Stadt Freyung) wurde 2007 in Finsterau im Schanzer-Häusl wiederaufgebaut[5].

Die Sesselöfen im Inhaus und im Austragshaus des Petzi-Hofs sind Rekonstruktionen unter Verwendung von Altkacheln.<Rekonstruktion: Dr. Martin Ortmeier. Für den Sesselofen des Inhauses war ein photographisch (um 1930) belegter Ofen in Dorfeisenstein im Böhmerwald Grundlage, für den Sesselofen im Austragshaus wurden im Zuge der baubegleitenden volkskundlichen Feldforschung Berichte von Gewährspersonen herangezogen.</ref>

Literatur

  • Konrad Bedal: Ofen und Herd im Bauernhaus Nordostbayerns. München 1972
  • Martin Ortmeier: Ofen und Herd in Niederbayern – Spurenlese. In: Martin Ortmeier und Walter Wandling: Keramik in Niederbayern, Landshut 1987, S. 24-40
  • Martin Ortmeier: Glump und Gloria. Die Rekonstruktion eines niederbayerischen Kleinbauernhauses. In: Ostbairische Grenzmarken. Passauer Jahrbuch für Geschichte, Kunst und Volkskunde, Bd. 29, Passau 1987, S. 134-150

Anmerkungen

  1. Im Buch [[Martin Ortmeier]: Herent und drent. Alte Bilder aus dem Bayerischen Wald und dem Böhmerwald, Amberg 2008, ISBN 978-3-95587-061-4, ist eine Photographie aus dem Archiv des Stadtmuseums in Prachatitz/Prachatice abgebildet (S. 38), die einen Sesselofen zeigt, der die Röhre am Fuß des Kachelaufsatzes eingerichtet hat.
  2. Z.B. im Inhaus des Petzi-Hofs im Freilichtmuseum Finsterau (Darstellungszeitraum 1855 bis 1945)
  3. Martin Ortmeier: Freilichtmuseum Finsterau. Die Bauernhäuser und ihre Geschichte. Passau 2009, ISBN 978-3-932949-87-6; Martin Ortmeier: Ein Bauernhofmuseum für Niederbayern. Freilichtmuseum Massing. Landshut 2001, ISBN 3-9805663-4-x
  4. Aufgefunden und dokumentiert 1985/86 von Dr. Martin Ortmeier, abgetragen und aufgebaut von Kurt Gibis und Fritz Kilger 1986
  5. 1986/87aufgefunden und dokumentiert von Dr. Martin Ortmeier (Aufmaß Hans Eichinger), abgetragen von Kurt Gibis; aufgebaut von Kurt Gibis und Martin Ortmeier