Töginger Hausbesetzung

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Vier der ehemaligen Hausbesetzer von Töging am Inn 35 Jahre nach der Besetzung. (Foto: Brandl)

Die sogenannte Töginger Hausbesetzung ab dem 2. Juni 1972 in Töging am Inn war eine der ersten Hausbesetzungen Deutschlands und wohl die erste im Freistaat Bayern. Der zunächst lokale Hintergrund dehnte sich zeitweilig auf überregionale politische Themen aus. Die Hausbesetzung endete im Winter 1972/73, da die Heizanlage des besetzten Hauses nicht funktionierte. Die erste aktenkundig gewordene Hausbesetzung in der Bundesrepublik hatte keine zwei Jahre zuvor, ab Herbst 1970, in Frankfurt am Main stattgefunden.

Ablauf

Ausgangspunkt

Ausgangspunkt der Töginger Hausbesetzung war die Forderung einiger junger Leute nach einem eigenen Jugendtreff. Zwar gab es in der damaligen Gemeinde Töging am Inn einen Jugendtreff, der vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) betrieben wurde, dessen Regeln aber wollten sich die jungen Leute nicht mehr unterwerfen. Daher nahm eine Gruppe von rund 40 jungen Leuten dem ab dem 2. Juni 1972 einen Teil des Gebäudes an der Ecke Dortmunder Straße/Mainzer Straße in Besitz und hielt ihn bis tief in den Herbst hinein besetzt. Das Gebäude war in früheren Jahren als Kino genutzt worden und stand nun leer. Der Eigentümer des früheren Kinos duldete die Hausbesetzung – er befand sich in einem Konflikt mit der Gemeindeverwaltung. So hatten Beamte der Landpolizei, der damalige Töginger Bürgermeister Max Saalfrank und andere Autoritätspersonen, darunter Lehrer, keine Handhabe, die Hausbesetzung gewaltsam zu beenden.

Weitere Entwicklung und Aufgabe

Aus der spontanen Protestaktion einiger junger Leute – sie begann bewusst auf den Tag genau fünf Jahre nach der Ermordnung des Studentenführers Benno Ohnesorg in Berlin – wurde schon bald eine politische Demonstration: Die Hausbesetzer nannten sich provokant „Rote Garde“ und hissten eine rote Fahne über dem Gebäude. Der besetzte Teil des Gebäudes wurde „Bambule“ genannt – nach einem Theaterstück der späteren RAF-Terroristin Ulrike Meinhof. Im Gebäude wurden rote Sterne an die Wände gemalt und Plakate des Revolutionsführers Che Guevara aufgehängt. In den politisch recht aufgeheizten frühen 1970er Jahren, in denen der Terror der RAF Deutschland erschütterte und das weltpolitische Geschehen noch vom Ost-West-Konflikt geprägt wurde, musste dies als große Provokation aufgefasst werden.

Im Verlauf der Hausbesetzung stießen zeitweise Leute aus Berlin oder dem Ruhrgebiet dazu. Wie sich die Hausbesetzer Jahrzehnte später erinnerten, verstießen diese gegen die Regeln, die sich die jungen Töginger gegeben hatten und zahlten Getränke und Lebensmittel nicht. Später wurde von Unbekannten sogar die Gemeinschaftskasse geplündert. Bei Einbruch des Winters 1972/73 gaben die Besetzer auf: Die Heizungsanlage in dem Gebäude funktionierte nicht.

Öffentliche Resonanz und Wahrnehmung

Die Töginger Hausbesetzung sorgte auch überregional für Aufsehen: Die Deutsche Presse Agentur verbreitete bundesweit Bilder aus dem besetzten Gebäude, das Bayerische Fernsehen widmete den „Kinostürmern“ wenige Tage nach Beginn der Besetzung einen Beitrag in der Abendschau. In der Töginger Öffentlichkeit selbst stieß die Aktion auf große Skepsis: So bezeichnete man das Gebäude in den Sitzungen des örtlichen Rates als „Schandburg“ (in Anlehnung an den früheren Namen „Filmburg“) und erörterte sogar die Idee, die Fenster und Türen zuzumauern. Die Lokalzeitung Alt-Neuöttinger Anzeiger vermutete, hier werde „geraucht, gehascht, und auch der Sex scheint nicht vergessen zu werden.“

Dabei schotteten sich die Hausbesetzer keineswegs ab, sondern empfingen im Verlauf der Aktion Besuch von Tögingern verschiedener Generationen – Kinder hätten im besetzten Gebäude gespielt, ältere Männer mit den Hausbesetzern mal ein Bier getrunken, wie die Mitglieder der „Roten Garde“ später erinnerten. Viele Besetzer verließen tagsüber das Gebäude, um ihren Pflichten als Lehrling oder sogar Wehrdienstleistender nachzukommen. Dem Eindruck einer „Schandburg“ zum Trotz wurden von den Hausbesetzern eine Reihe von Verschönerungsarbeiten im Gebäude vorgenommen, das Alltagsleben im besetzten Gebäude wurde organisiert - es gab sogar eine Getränkekasse.

Stadterhebung

Die Hausbesetzung fiel mit dem Jahr der Töginger Stadterhebung zusammen. Diese wurde im September 1972 eine Woche lang aufwendig und im Beisein von viel Prominenz gefeiert. Der mehrere Kilometer lange Festzug mit 51 Gruppen und unter Anteilnahme etwa des Staatssekretär Erich Kiesl und Regionalbischof Graf von Soden-Frauenhofen bewegte sich an dem mit roter Fahne geschmücketen besetzten Haus vorbei. Und so wurde damals in Töging ganz selbstverständlich vermutet, es seien die Hausbesetzer gewesen, die in der Nacht vor dem eigentlichen Festakt Plakate gegen die Stadterhebung in Töging verbreiteten und sogar die Fensterscheiben verschiedener Gebäude einwarfen, darunter das Rathaus und der Wohnsitz von Töginger Bürgermeister Max Saalfrank.

Literatur