Fensterln

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An Studienrat Lingener in Hamburg ging mit Poststempel vom „9.8.32“ die Lichtbildpostkarte, die einen trachtlerisch gekleideten Burschen beim Fenstlern zeigt. Den Kühlkasten, der „Rahm-Eis in Packung“ zu 35 Pfennig anpreist, hat der tüchtige Kerl schon erklommen, aber nun hätte er den Blumenkasten vor dem Fenster überwinden müssen, wenn er zu den beiden Mädchen hätte einsteigen wollen. (Foto: Archiv Martin Ortmeier)

Beim Fensterln steigt ein junger nicht verheirateter Mann zum Zweck der Huldigung oder mit dem Ziel des einvernehmlichen Beischlafs zum Kammerfenster einer jungen nicht verheirateten Frau auf. Dies gilt als ländlich-bäuerliches Brauchtum.

Die (nicht akademische) Volkskunde bekundet, der Brauch des Fensterlns sei in vielen Ländern als eine tolerierte Form der Brautwerbung verbreitet. Zu unterscheiden sind gesellige Bräuche, bei denen unter dem Fenster oder auch an der Haustüre heiratsfähiger Frauen Sprüche oder Lieder vorgetragen werden, und die Praxis bzw. das Vorhaben des heimlichen nichtgewaltsamen Einsteigens in die Kammer einer ledigen (jungen) Frau.

Dem öffentlichen Vorgang ging vielfach bereits ein Heiratsarrangement der Eltern voraus. Die Tradition wird bis zum mittelalterlichen Minnesang zurückgeführt, demnach seien Gasslgehen (Kärnten), Korteln (Friesland), Zhengertgehen (Graubünden) usw. „gesunkendes Kulturgut“.
Zur Praxis des Fensterlns im Verborgenen gibt es kaum Belege. Es ist anzunehmen, dass es selten geschah, denn für den einvernehmlichen Beischlaf war die „Menscher“-Kammer[1] die gewöhnlich von mehreren jungen (gelegentlich auch verwitweten oder ledig gebliebenen älteren) Frauen belegt war, wenig geeignet.

In Oberbayern – in der Folge auch in anderen altbayerischen Regionen – wurde im Zuge der Trachtenbewegung des fortgeschrittenen 19. und des frühen 20. Jahrhunderts das Fensterln als Brauchtum herausgestellt und für den Tourismus heiter aufbereitet.

Fast ausschließlich anonyme Autoren propagieren bei Wikipedia[2] eine lange Tradition des Fensterlns und seiner Varianten. Illustriert wird der Beitrag widersprüchlich mit einem Genregemälde des 19. Jahrhunderts, das einen jungen, als Liebhaber bezeichneten Offizier beim Flüchten über ein Fenster zeigt.

Literatur

  • Martin Ortmeier: Die schönen Geschichten vom Fensterln, in: Zwiefach. Musik-Kultur-Lebensart, Jg. 58, Heft 3, S. 32–34

Anmerkungen

  1. Das Mensch meint altbairisch die nicht verheiratete geschlechtsreife Frau, Plural ist die Menscher.
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Fensterln