Ludwig Hartl

Aus RegioWiki Niederbayern
Wechseln zu: Navigation, Suche
Ludwig Hartl mit einem Erinnerungensalbum.
Hartl als Offiziers-Fahrer in Mannheim.

Ludwig Hartl (* 1909? bei Pocking) ist gelernter Müllermeister und diente im Zweiten Weltkrieg als Wehrmachtssoldat.

Leben und Wirken

Kriegsbeginn

Als am 1. September 1939 die ersten Schüsse fielen, saß Ludwig Hartl mit seinen Kameraden in Kirchham im Landkreis Passau und machte sich keine großen Gedanken. „Ich hab’ gedacht, der Krieg ist in ein paar Wochen vorbei“, sagt der heutige Wahl-Neuöttinger 70 Jahre später. Ein großer Irrtum wie sich bald herausstellte. Sechs Jahre sollte der verlustreichste Krieg aller Zeiten dauern. Über 50 Millionen Menschen waren am Ende tot. Und doch hat es Ludwig Hartl geschafft, heil aus dem Abschlachten heraus zu kommen. Mehr noch, dem heute 100-Jährigen gelang es, nicht einmal zur Waffe greifen zu müssen – obwohl er vom ersten Kriegstag an mit dabei war.

Eigentlich wollte Ludwig nie zur Armee. Mit großdeutschen Eroberungsplänen hatte der gebürtige Singhamer aus der Nähe von Pocking nichts am Hut. Die Nazitrupps der SA waren für ihn „Radaubrüder“, die große Politik im fernen Berlin nichts, was einen einfachen Handwerker im Rottal kümmern muss. Viel lieber beschäftigte sich der Müllermeister mit seinem Motorrad - eine Maschine, die Ludwigs Leben gehörig durcheinander bringen sollte, denn sie bescherte ihm eine unfreiwillige Eintrittskarte zur Wehrmacht.

Freiwilligenmeldung

1938 machte sich Adolf Hitler daran, seine Großmachtpläne in die Tat umzusetzen. Deutsche Truppen überschritten die Grenze zum Sudetenland, das Reich verleibte sich das tschechoslowakische Gebiet ein. Weil die Wehrmacht für die Besetzung alles brauchen konnte, was motorisiert war, wollten die Behörden auch Ludwigs Motorrad einziehen. „Nicht mit mir“, dachte sich der damals 29-Jährige. Kurzerhand meldete er sich freiwillig zur Armee – nach dem Motto: „Ich geh’ dahin, wo mein Krad ist.“

Dass die Idee alles andere als schlau war, kam Ludwig bald selbst. Er verkaufte sein Motorrad, um der Wehrmacht noch auszukommen, doch fürs Aussteigen war es bereits zu spät. Kurz vor dem deutschen Einmarsch ins Nachbarland trat er seinen Dienst an. Trotz Krise war es für Ludwig eine ruhige Zeit: Seine Einheit blieb als Reserve in Pocking stationiert. Kaum eingerückt, ging es wieder nach Hause – zumindest vorerst.

Ein knappes Jahr später holte ihn die Wehrmacht zurück. Alle Zeichen standen auf Krieg. „Blitzkrieg“, wie sich Ludwig damals sicher war. Ums Kämpfen und Sterben machte er sich deswegen keinen Kopf, vor allem, weil der Krieg für Hartl wieder mit Warten begann; dieses Mal bei einer Wach- und Nachrichtenkompanie der Luftwaffe in Kirchham. Weiter ging es über Schleißheim nach Koblenz. Während sich die Fronteinheiten durch Polen kämpften, kümmerte sich Ludwigs Trupp um die Sicherheit der Feldflugplätze im Reichsgebiet. Mal war der gebürtige Niederbayer dabei als Fahrer unterwegs, mal als Elektriker, mal als Mädchen für alles.

Frankreichfeldzug

1940 startete die Offensive gegen Frankreich. Wieder hatte Hartl Glück. Seine Einheit wurde an Reichsmarschall Hermann Göring abgestellt – zur besonderen Verfügung, wie es amtlich hieß. Vier Wochen saßen er und der Rest seiner Kompanie in Belgien, in der Nähe von Brabant. Dort bewachten sie Görings Feldflugplatz, samt Unterkünften und dem persönlichem Sonderzug – ein Gefährt, „eingerichtet wie ein Luxushotel“, erzählt Hartl. An Göring selbst kann er sich kaum noch erinnern. Nur, dass er ein „außerg’fressener Hund“ war und „die Offiziere immer rumg’hupft sind wie die Schachtlteifl, wenn es hieß, der Feldmarschall kommt“.

Gut vier Wochen dauerte der Einsatz, dann war der Frankreichfeldzug vorbei und mit ihm fürs Erste auch Hartls Kriegszeit. Weil seine Mühle in Niederbayern als Versorgungsbetrieb eingestuft wurde, durfte er nach Hause. Zwei Jahre später kam erneut der Stellungsbefehl. Die deutschen Blitzoffensiven stockten, die Wehrmacht brauchte jeden Mann. Dass er noch schnell seine Freundin Elisabeth heiratete, half ihm da auch nicht mehr. „Mir is’ das Herz richtig in die Hos’n g’rutscht, als der Stellungsbefehl kam.“ Im Frühjahr 1943 ging es nach Kirchgäns bei Gießen. Auch hier verließ den mittlerweile 34-Jährigen sein Glück aber nicht. Als das Heer Luftwaffensoldaten für den Russlandkrieg „beschlagnahmte“, wurde Ludwig schlichtweg vergessen. Stattdessen ging es für ihn an die französische Grenze und schließlich nach Mannheim. Auch hier drohte wieder der Marschbefehl an die Ostfront und auch dieses Mal hielt Hartls Glückssträhne: Weil er sich als Einziger mit dem Notstromaggregat der Einheit auskannte, durfte er bleiben. Und nachdem er dem Befehlshaber seiner Einheit – ein Verwandter des Hitlerattentäters Stauffenberg – auch noch ein kaputtes Bügeleisen repariert hatte, begannen für ihn lockerere Zeiten. „Stramm stehen musste ich bei dem nicht mehr“, wie er erzählt.

Flucht und Gefangenschaft

Sein gutes Verhältnis zu den Vorgesetzten und sein handwerkliches Geschick bewahrten Hartl auch in den folgenden Monaten vor dem Schlimmsten. In Mannheim kam er zur Flugabwehr, wo er als Fahrer für die Offiziere zum Planungsstab des Bataillons gehörte. Als die alliierten Luftflotten die Geschützstellungen in Schutt und Asche legten, entging Ludwig dem Bombentod hinter den vordersten Linien. Zusammen mit einem Vorgesetzten setzte sich Ludwig schließlich in Richtung Süden ab. Beide hatten genug vom Krieg. Der Offizier hatte sich extra Zivilkleidung besorgt. In der Nähe des Schliersees, wo Hartl in den letzten Kriegstagen noch mit ansehen musste, wie SS-Soldaten Deserteure an Bäumen aufknüpften, schnappte sich sein Vorgesetzter ein Fahrrad, wechselte die Kleidung und machte sich davon. Mit dem Offizier verließ Ludwig das Glück. „Am 5. Mai 1945 ham’s mich dann g’fangt“, erzählt er. Drei Tage vor Kriegsende schnappten ihn amerikanische Soldaten. Ludwig kam nach Heilbronn, dann weiter in ein Gefangenenlager nach Frankreich. Das Versprechen, dass er bald entlassen werden sollte, entpuppte sich als Luftnummer. 23 Monate musste Ludwig in Bergwerken in Lothringen schuften – fast zwei Jahre in engen Stollen, bei drückender Hitze und härtester körperlicher Arbeit. „Ich hab’ g’meint, ich komm’ hier nimmer raus“, sagt Ludwig und für kurze Zeit verschwindet das Lächeln aus seinem Gesicht.

Heimkehr

Erst 1948 ging es über Umwege zurück nach Deutschland. Hartl sollte freikommen, doch zuvor stand noch das Quarantänelager an, um Krankheiten und Ungeziefer auszuschließen. „Des hab’ ich mir aber g’spart“, erzählt Ludwig und grinst wieder. Statt die offizielle Entlassung abzuwarten, nahm er Reißaus und flüchtete in die niederbayerische Heimat. Dort angekommen, ließ er sich von den Behörden noch offiziell „entnazifizieren“ – „mit drei Schachteln Zigaretten“, wie er sagt, wobei er mit den Augen zwinkert - und dann, am 5. Mai, genau drei Jahre nach der Gefangennahme und zehn Jahre nach dem Einrücken zur Wehrmacht, war für Ludwig der Krieg vorbei. Inoffiziell zumindest, denn „eigentlich bin ich ja immer noch Kriegsgefangener, weil ich nie offiziell aus der Gefangenschaft entlassen worden bin“.

Literatur