Politischer Aschermittwoch

Aus RegioWiki Niederbayern
Wechseln zu: Navigation, Suche
Datei:Dreiländerhalle 4.jpg
Die Dreiländerhalle ist jährlich Schauplatz des Politischen Aschermittwochs der CSU.

Der Politische Aschermittwoch bezeichnet traditionell am Aschermittwoch stattfindende lokale oder regionale Versammlungen der großen deutschen Parteien, bei denen es meist zu einem derben rhetorischen Schlagabtausch kommt. Er ist seinem Ursprung nach eine bayerische Institution, hat aber auch mittlerweile in anderen Bundesländern Einzug gehalten.

Im engeren Sinne versteht man unter dem Begriff Politischer Aschermittwoch die bayrischen Landestreffen von CSU, SPD, FDP, Grünen, ÖDP, Linkspartei und Republikanern.

Allgemeines

Es ist der größte Stammtisch der Welt: In Festzeltstimmung feiern die Parteianhänger mit Bier ihre Politgrößen. Es geht deftig zu – in den Reden wie auf den Tischen. Der Aschermittwoch markiert zwar das Ende des Faschings, aber auch den Beginn eines eintägigen Wahlkampfes. Beim politischen Aschermittwoch gilt nur eins: draufhauen und das möglichst wortgewaltig.

Der Meister dessen war Franz Josef Strauß, einstiger bayerischer Ministerpräsident. Er verlieh dem verbalen Schlagabtausch in Niederbayern bundesweit erst das Ansehen, das der Tag heute hat. Mit seinen Äußerungen sorgte Strauß mitunter für Wirbel: Er nannte SPD-Bundeskanzler Willy Brandt einen „zum Messias herausgeputzten Pseudopropheten“ und forderte 1976 „weg mit den roten Deppen“. Dieses Treiben der Sau durchs Dorf geht im Ursprung auf genau das zurück – Tiere.

Geschichte

Wurzeln

Der Aschermittwoch war ein strenger Fast- und Abstinenztag, der aber wie andere christliche Feiertage auch zu Jahrmärkten genutzt werden durfte. Schon im Jahr 1580 trafen sich bayerische Bauern erstmals in Vilshofen zum Vieh- und Rossmarkt und feilschten dabei nicht nur über die Preise, sondern diskutierten auch heftig die Themen des Tages. Auf dringendes Bitten der Stadtoberen wurde „am Mittwoch vor Laurenzi 1581“ (Laurenz-Tag am 10. August) die Wiederbelebung eines Jahrmarktes bemüht, ebenso zwei Ochsenmärkte und ein Rossmarkt, welche an den Mittwochen „in den Fasten“ sein konnten. Wie der Vilshofener Stadtchronist Franz Seraph Scharrer in seiner Heimatchronik 1927 feststellte, hatten aber weder die Ochsen- noch Pferdemärkte Bestand, und lediglich der Jahrmarkt „am Mittwoch in den Fasten“ blühte.

Dieser jährlich am Aschermittwoch stattfindene Markt war dann ab 1880 als „extra ordinär“ im Amts- und Wochenblatt für das Königliche Bezirksamt Vilshofen (und somit offiziell als Verkaufstag) aufgeführt. Er war der größte Viehmarkt in der ganzen Region. Bis zu 10.000 Menschen zog es jedes Jahr an die Donaulände. Verkauft wurden auch Schweine, Pferde und Tauben. Das große Angebot trug zu den stets hohen Besucherzahlen bei, aber auch, dass am Aschermittwoch die Bauern, Mägde und Knechte nicht arbeiten mussten, der Tag galt als Feiertag der Bauern. Freunde und Verwandtschaft trafen sich auf dem Markt oft das einzige Mal im ganzen Jahr. Man plauderte bei Bier in der Wirtsstube über Hof und Vieh.

Eigentliche Geburtststunde

Nicht immer war das Geschäft am Markttag wirklich gut. Die Kriege und Maul- und Klauenseuchen sorgten bisweilen dafür, dass die Händler nur wenig Tiere oder Waren anboten und verkauften. Vereins-Versammlungen anlässlich des Aschermittwochs gab es schon seit 1888, doch der politische Aschermittwoch wurde erst in der unruhigen Zeit nach dem 1. Weltkrieg am 5. März 1919, exakt um 12:00 Uhr, ins Leben gerufen. Genau zu diesem Zeitpunkt fand nämlich die erste politische Kundgebung beim Markt statt. Der Bayerische Bauernbund Vilshofen hatte zu einer Vertrauensmänner-Versammlung für den Landtagswahlkreis Vilshofen-Arnstorf in den „Gasthof zum Goldenen Ochsen“ geladen. Dabei sollten Landtagsabgeordnete und Delegierte des Arbeiter- und Bauernrates sprechen. Dass sie ihre Versammlung an den Viehmarkt anschlossen, hatte zwei Gründe: Zum einen waren die meisten ihrer Anhänger in Niederbayern und sie wollten sich deren Rückhalt sichern. Zum anderen kamen zu dem Markt viele Menschen, die zumeist nach Abschluss der Geschäfte im Wirtshaus offen für politische Reden waren. Als Redner wurden der Reichstagsabgeordnete Benedikt Bachmeier und die Landtagsabgeordneten Joseph Matzeder und Joseph Klarhauser sowie der Delegierte des Arbeiter- und Bauernrates Leitner angekündigt. Tatsächlich traten bei der Kundgebung nur Leitner und Klarhauser auf, da die anderen Redner durch die Ereignisse in München abgehalten wurden.[1]

Der Bayerische Bauernbund war eine eigenständige politische Standespartei der Bauern, die gegen Adel, Klerus und preußischen Militarismus auftrat. Kein Wunder also, dass auch der politische Gegner, der konservative Christliche Bauernverein, 1927 mit einer Kundgebung den Viehmarkt nutzte. Dabei gab es laut Vilshofener Tagblatt etwa 50 „tatkräftige Schreier“ des Bauernbundes gegen den Christlichen Bauernverein und dessen Redner, den Reichstagsabgeordneten Franz Gerauer und den Landtagsabgeordneten Michael Stapfer von der Bayerischen Volkspartei, die dem Bauernverein nahestand. Ab da gab es jährlich politische Veranstaltungen zum Aschermittwochsmarkt.

1932 begann die Bayerische Volkspartei den Tag für sich zu nutzen und auch die NSDAP-Politiker traten auf. Vollkommen zum Erliegen kam der politische Schlagabtausch dagegen zwischen 1938 und 1945.

Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg

Erst am 6. März 1946, als die Bayernpartei die Gründungsveranstaltung ihres Vilshofener Ortsverbandes auf den Aschermittwoch legte, war die Aschermittwochskundgebung wieder in demokratischer Hand. Am Sonntag, den 10. März 1946 organisierte der neue Bayerische Bauernverband ein „unpolitisches Treffen“, weil die US-Behörden eine politische Versammlung noch nicht zugelassen hatten. Sein Redner Alois Schlögl gehörte allerdings der neuen CSU an, die als Nachfolgerin der Bayerischen Volkspartei galt. Für den Aschermittwoch zwei Jahre danach am 11. Februar 1948 lud die Bayernpartei zu einer Großkundgebung in den Konzertsaal in Vilshofen. Mit ihrem Redner Josef Baumgartner beherrschte bis 1952 die Bayernpartei den politischen Aschermittwoch allein.

Als die CSU schließlich 1953 unter der Führung von Franz Josef Strauß ihren ersten politischen Aschermittwoch durchführte, wurde dieser endgültig zu einer bundesweit bekannten Institution. Ab 1953 sorgte Strauß dafür, dass das CSU-Domizil, der Wolferstetterkeller in Vilshofen, stets gut gefüllt war. Den noch größeren Capitol-Kinosaal füllte bis zum Abriss aber meist die Bayernpartei. So verwundert es kaum, dass die alljährlichen Aschermittwochskundgebungen in der Folge vor allem durch die Auseinandersetzung zwischen CSU und Bayernpartei bestimmt waren. Deren prominentester Redner war Josef Baumgartner, ehemaliger bayerischer Landwirtschaftsminister und Ex-CSUler. Gerade das Fernduell zwischen Pepperl, wie Baumgartner genannt wurde, und Strauß, damals Bundesminister, bot den Zuschauern einen besonderen Reiz: Mitglieder der eigenen Partei waren als Spione auf der Veranstaltung der Konkurrenz und lieferten Berichte darüber, was der Gegner gesagt hatte. So konnte jeder Redner direkt darauf reagieren.

Allerdings zeigte sich schon bald der Niedergang der Bayernpartei, und als Baumgartner nicht mehr redete, wollten alle Strauß hören. Ganze 2.500 Leute drängten sich alleine 1965 im Wolferstetterkeller. Der Erfolg der CSU zeigte skuzessive seine Wirkungen: Während die Kundgebungen der Bayernpartei immer mehr an Attraktivität verloren, gewann die CSU immer mehr an Publikumsgunst. Spätestens seit 1975 war der Wolferstetterkeller nicht mehr länger geeignet, die Zuhörermassen zu fassen.

Umzug nach Passau

Daher fasste die CSU im Jahr 1975 den Entschluss, nach Passau auszuweichen. Hier fand er seither in der alten Nibelungenhalle am Exerzierplatz statt. Der politische Aschermittwoch wurde zum Wahlkampfforum mit riesiger Inszenierung, die Veranstaltungen wurden immer größer, immer mehr Parteien beteiligten sich am Spektakel, immer mehr Redner traten auf und inzwischen beschränken sich die Kundgebungen nicht mehr nur auf Bayern.

In den letzten Jahren vor dem Abriss der Nibelungenhalle war aber auch hier allmählich zu wenig Platz für die Besuchermassen – obwohl die Nibelungenhalle ganze 7.000 Personen fassen konnte. Darüber hinaus befürworteten mehrere CSU-Politiker eine Modernisierung der Veranstaltung. Insofern kam der Abriss der Nibelungenhalle im Jahr 2004 im Rahmen des Projekts „Passauer Neue Mitte“ für den Politischen Aschermittwoch wohl ganz gelegen. Dieser zog in der Folge in die neue und viel modernere Dreiländerhalle nach Kohlbruck um, wo er bis heute stattfindet.

Dennoch, die bei den Reden von Franz Josef Strauß herrschende Stimmung bleibt unerreicht. Der einstige Ministerpräsident stellte noch einen weiteren Rekord auf: Insgesamt 35 Aschermittwochsreden hat er beim größten Stammtisch der Welt gehalten. In seinem Trinkverhalten soll er aber untypisch gewesen sein. Ihm wird nachgesagt, dass er in seinem Maßkrug nicht Bier, sondern Champagner hatte. Auch Nachfolger Edmund Stoiber soll das bayerische Getränk getauscht haben - gegen Salbeitee. So ungewöhnlich inzwischen die Getränke sind, so anders geht es auch manchmal beim Essen zu. Neben typisch bayerischen Schmankerln gibt es an einzelnen Ständen Exotisches – wie 1992 auch Gyros. Das war in der Anfangszeit des politischen Aschermittwoch natürlich ganz anders: Damals galt das Fastengebot. Deftig waren nur die Reden.

2016 wurde der Politische Aschermittwoch erstmals in seiner Geschichte abgesagt. Grund war das schwere Zugunglück bei Bad Aibling am Tag zuvor. Aus Respekt vor den Opfern verzichtete die CSU ebenso wie SPD, Grüne, FDP, Freie Wähler, ÖDP, Piratenpartei und AfD auf die traditionellen Kundgebungen.

Der Politische Aschermittwoch heute

Edmund Stoiber beim Aschermittwoch 2005 (Foto: Jäger)

CSU: Dreiländerhalle (Passau)

Die Christlich-Soziale Union veranstaltet ihren traditionellen Politischen Aschermittwoch seit dem Abriss der Nibelungenhalle in der Dreiländerhalle in Passau-Kohlbruck.

Siehe Hauptartikel: Politischer Aschermittwoch (CSU)

SPD: Wolferstetterkeller (Vilshofen)

Die Sozialdemokraten begehen ihren Aschermittwoch mittlerweile am Ursprungsort dieser Veranstaltungen: im Wolferstetterkeller in Vilshofen an der Donau.

Siehe Hauptartikel: Politischer Aschermittwoch (SPD)

Andere Parteien

Neben den beiden großen deutschen Volksparteien veranstalten auch viele der anderen Parteien einen Politischen Aschermittwoch. Während die Treffen der FDP und der ÖDP sowie meist auch die der Grünen und der Linkspartei ebenfalls in Stadt oder Landkreis Passau stattfinden, versammeln sich die Republikaner in den sog. „Brauhausstuben“ in Geisenhausen (Landkreis Landshut). Auch die Bayernpartei veranstaltet bis heute ein Aschermittwochstreffen, und zwar in Vilshofen.

Bedeutung & Wirkung

Eine vor rund zehn Jahren angefertigte Studie hat ergeben, dass die meisten Menschen Passau wegen dem Politischen Aschermittwoch kennen – und wegen des Hochwassers. Durch den Aschermittwoch ist Passau mindestens einmal im Jahr in den Hauptnachrichten vertreten.

Der breiten Meinung zufolge ist es weniger das Ziel der Politischen Aschermittwoche, neuartige Konzepte zu präsentieren oder detaillierte Sachkritik vorzubringen. Sie sollen vielmehr die eigenen Reihen schließen, Parteianhänger motivieren und den politischen Gegner verunsichern. Immerhin zeichnen sich die in Bierzeltatmosphäre stattfindenden politischen Reden vor allem durch farbige Wortwahl und heftige Attacken gegen den politischen Gegner aus.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Historisches Lexikon Bayerns: Politischer Aschermittwoch/Der erste politische Aschermittwoch 1919