Attentat auf Alois Mannichl

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Alois Mannichl. (Foto: Jäger)
Alois Mannichl am Tag nach der Messerattacke im Klinikum Passau mit dem bayer. Innenminister Joachim Herrmann (re.) und Landespolizeipräsident Waldemar Kindler. (Foto: Kain)
Alois Mannichl im Einsatz. (Foto: Geisler)
Gut 300 Passauer zeigten am 15. Dezember 2008 vormittags bei einem Demozug gegen Rechts Flagge. (Foto: Jäger)
Die Ermittler hatten zwei Zeichnungen veröffentlicht, die aber zurückgenommen worden sind. (Zeichnung: Polizei)

Das Attentat auf Alois Mannichl ereignete sich am 13. Dezember 2008. Der damalige Passauer Polizeidirektor wurde dabei schwer verletzt. Die Tat sorgte international für großes Aufsehen, da ein rechtsextremistischer Hintergrund vermutet wurde.

Drei Wochen nach der Tat übernahm das LKA die Ermittlungen, in deren Zug sich immer mehr Ungereimtheiten rund um das Tatgeschehen offenbarten und über einen familiären Hintergrund der Tat spekuliert wurde. Je länger die Ermittler im Dunkeln tappten, desto wilder schossen die Spekulationen diverser Medien ins Kraut. Immer wieder wurden Zweifel daran laut, ob hinter der Tat tatsächlich ein Racheakt aus Neonazi-Kreisen steckt. Monate nach dem Attentat zweifelten selbst die Ermittler daran, ob das Attentat jemals aufgeklärt werden würde.

Rund acht Monate nach dem Anschlag auf Alois Mannichl ging der 20 Mann starke Rest der ehemals 50 Ermittler umfassenden Sonderkommission zurück in seine Dienststellen beim Münchner Polizeipräsidium und im Bayerischen Landeskriminalamt (BLKA). Die Sonder-Fahner sind am 14. Juli 2009 aus Passau abgerückt.

Messerattentat

Tathergang

Alois Mannichl war am späten Samstagnachmittag, dem 13. Dezember 2008, von einem glatzköpfigen Mann niedergestochen worden, nachdem dieser gerufen hatte: „Viele Grüße vom nationalen Widerstand, du linkes Bullenschwein“ und die Drohung „du trampelst nimmer auf den Gräbern unserer Kameraden herum“. Zunächst attackierte der Täter den 52-jährigen Polizeidirektor an dessen Haustür verbal – und stach dann plötzlich mit einem Messer zu. Die elf Zentimeter lange Klinge verfehlte das Herz nur knapp. Die Ehefrau des schwer verwundeten Polizisten, eine Altenpflegerin, setzte umgehend einen Notruf ab und versorgte ihren Mann medizinisch. Mannichl war bei Bewusstsein. Er gabt noch eine Täterbeschreibung zu Protokoll und dass er glaube, ein Motorengeräusch gehört zu haben, ehe ihn der Notarzt ins Klinikum Passau brachte. Dort konnten die Ärzte durch eine Notoperation die Lebensgefahr abwenden. Mannichl und seine Familie wurden direkt nach dem Attentat unter Polizeischutz gestellt.

Hintergrund: konsequent gegen Rechts

Im rechtsextremen Spektrum gilt Alois Mannichl als regelrechte Hassfigur. Erst wenige Wochen vor dem Attentat hatte die NPD auf ihrer Webseite gepöbelt: „Polizeidirektor Mannichl belästigt Trauergäste.“ Hintergrund war das polizeiliche Einschreiten bei einer Gedenkkundgebung der Stadt Passau zum Volkstrauertag, wo die Polizei den Rechtsextremen das Niederlegen eines Kranzes untersagte.

Alois Mannichl hat sich die Wut der Neonazis durch sein konsequentes Einschreiten gegen das rechte Treiben in Passau und Umgebung zugezogen. So verhinderte der Polizeidirektor mit allen rechtsstaatlichen Methoden wiederholt Aufmärsche von Rechtsextremen in der für diese Kreise symbolträchtigen Stadt Passau oder schränkte deren öffentliches Auftreten durch große Polizeipräsenz und zahlreiche Kontrollen ein. Im Sommer dieses Jahres kam es bei der Beerdigung des Passauer Alt-Nazis Friedhelm Busse auf dem Friedhof in Patriching/St. Korona zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und rechten Gewaltbereiten. 20 Rechte wurden festgenommen, die allerdings nach Beendigung der Trauerfeier wieder freigelassen werden mussten. Später zogen diese Personen und zahlreiche Gesinnungsgenossen durch die Stadt, um gegen die ihrer Ansicht nach polizeiliche Willkür zu protestieren. Bei der Beisetzung hatte ein Neonazi heimlich eine Reichskriegsflagge vor den Augen der NPD-Führung um Bundesvorsitzenden Udo Voigt auf den Sarg Busses gelegt. Nachdem dies durch ein Pressefoto belegt werden konnte, ließ Mannichl später das Grab öffnen und die Flagge als Beweismittel für ein Ermittlungsverfahren sicherstellen. Möglicherweise bezog sich der Täter mit seiner Formulierung vom „Herumtrampeln auf den Gräbern unserer Kameraden“ auf diese Polizeiaktion. Ebenfalls könnte der Messerstecher auf den jüngsten Einsatz am Passauer Soldatenfriedhof angespielt haben, wo die Polizisten unter Mannichls Führung im November eine Kranzniederlegung durch Rechtsextreme verhinderten. Auch hier hatte es am Rand Wortgefechte zwischen Mannichl und den Neonazis gegeben. Dabei machte der Polizeidirektor den Rechten unmissverständlich klar, dass ihr Verhalten nicht im Einklang mit der freiheitlichen Grundordnung stehe.

Auch in seiner Heimatgemeinde Fürstenzell, auf die die Neonazis zunehmend ausweichen, trat Mannichl mit seinen Leuten der rechten Szene entgegen. Im Januar 2008 setzte die Marktgemeinde mit einer Veranstaltung gegen Extremismus ein Zeichen. Rund 500 Bürger beteiligten sich.

Ende Mai 2008 untersagte der Markt der NPD, am Kriegerdenkmal einen Kranz im Gedenken an die „deutschen Opfer“ der beiden Weltkriege niederzulegen. Die Partei erwirkte jedoch vor dem Verwaltungsgericht Regensburg im Eilverfahren eine Aufhebung dieses Verbots. Daraufhin ließ der Markt das Kriegerdenkmal mit Fahnen verhüllen. Rund 25 Neonazis zogen von ihrem Treffpunkt in „Traudls Café“ zum Marktplatz – unter großem Polizeiaufgebot mit Mannichl an der Spitze, was ihm weitere hasserfüllte Anfeindungen aus der rechtsradikalen Szene einbrachte.

Vor diesem Hintergrund vermuten die Ermittler einen Racheakt der Rechtsextremisten.

Entlassung

Sieben Tage nach dem Attentat konnte der Passauer Polizeichef das Klinikum Passau am 19. Dezember wieder verlassen. Körperlich geschwächt und ein wenig gebeugt, doch der Wille stark und unbeugsam wie eh und je: Alois Mannichls Weg aus dem Krankenhaus war wie ein Signal. Die Botschaft des Passauer Polizeichefs: „Wir werden im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht nachlassen! Wir dürfen uns von Einzelnen nicht einschüchtern lassen.“

Der 52-Jährige ist kein Selbstdarsteller, der sich gern öffentlich in Szene setzt – doch bei seiner Entlassung will er trotz seines Zustands unbedingt vor die Presse treten. Zwei Minuten, 55 Sekunden sprach er mit leiser Stimme. „Ich habe den Weg hier bewusst gewählt, ich wollte nicht durch die Hintertür hinausgehen“, beginnt er. „Denn ich glaube, es ist wichtig zu beweisen, dass wir uns von diesen Rechtsextremisten nicht einschüchtern lassen und aufrecht durchs Leben gehen.“

Dreieinhalb Wochen nach dem Mordanschlag auf den Passauer Polizeichef kehrte Alois Mannichl am 6. Januar 2009 in den Dienst zurück.

Der Täter

So viel ist bekannt: Der Mann sagte vor seiner Messerattacke gegen den Passauer Polizeichef Alois Mannichl nicht viel, aber genug, um ihn im bayerisch-österreichischen Sprachraum anzusiedeln. Zur Tatzeit war der Straftäter dunkel gekleidet, vermutlich trug er eine Bomberjacke. Bekannt war der hoch gewachsene und bullige Täter seinem Opfer nicht. Die Waffe warf er noch im Garten der Mannichls ins Gras. Er flüchtete zu Fuß, Zeugen wollen dann Motorgeräusche gehört haben.

Mannichl hatte diesen als etwa 1,90 Meter groß und 25 bis 35 Jahre alt beschrieben. Der Angreifer habe ein rundes Gesicht, sei glatzköpfig, am Hals trage er eine Tätowierung oder ein größeres Muttermal. Darüber hinaus fahndet die Polizei nach ein bis zwei weiteren Männern. Ein Verdächtiger hat demnach hinter dem linken Ohr ein auffälliges Tattoo, das eine grüne Schlange mit ausgestreckter Zunge zeigt. Diese Tätowierung ist auf der Zeichnung zu sehen. Der Mann soll 30 bis 40 Jahre alt sein, eine große und kräftige Figur, einen bulligen Nacken und eine Glatze haben.

Die Polizei hatte sich bei der bisherigen Fahndung unter anderem auf die Aussage einer Zeugin aus Mannichls Heimatort Fürstenzell gestützt und entsprechende Phantomzeichnungen veröffentlicht. Die Frau hatte angegeben, am Tattag, dem 13. Dezember 2008, eine Gruppe verdächtiger Personen in der Nähe eines rechtsextremen Szene-Treffs gesehen zu haben – darunter zwei Männer mit markanten Tätowierungen im Kopfbereich, einer Schlange bzw. einem Kreuz. Fünf Wochen nach dem Attentat erwiesen sich die Hinweise auf zwei Tatverdächtige mit auffälligen Tätowierungen als ein Flop. Die Polizei ging nun davon aus, dass diese Personen gar nicht existieren und hat die Fahndung nach den beiden „Phantom-Männern“ eingestellt.

Gleichzeitig gab das Landeskriminalamt (LKA) am 22. Januar 2009 bekannt, dass die Belohnung für Hinweise, die zum Täter führen, vervierfacht wird – von 5.000 auf 20.000 Euro.

Festnahmen

Zwei Tatverdächtige sind am 14. Dezember verhaftet worden, aber bereits am 15. Dezember wieder auf freiem Fuß gekommen. Die Männer im Alter von 26 und 27 Jahren haben für den Messerangriff am 13. Dezember vor Mannichls Privathaus in Fürstenzell laut Staatsanwaltschaft ein wasserdichtes Alibi.

Zwei weitere Festnahmen erfolgten am 16. Dezember 2008 im Großraum München, gegen die Haftbefehl am 17. Dezember erlassen worden ist. Dem 33-jährigen Mann und seiner 22-jährigen Frau wird „Beihilfe zum versuchten Mord“ vorgeworfen. Sie sollen „bei Vorbereitungshandlungen den bislang unbekannten Haupttäter unterstützt“ haben, wie es in einer Mitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizei heißt. Es bestünden die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Wie die Passauer Neue Presse (PNP) erfuhr, will eine Augenzeugin das Pärchen in der Nähe des Tatorts gesehen haben, bei dem es sich um das Münchner Ehepaar Sabrina und Manuel H. handelt. Die 22-Jährige und der elf Jahre ältere Mann sollen einem lokalen Ableger der als extrem gefährlich angesehenen „Autonomen Nationalisten“ angehören und sind bereits auf etlichen rechtsextremistischen Kundgebungen mitmarschiert. Der 33-jährige Manuel H. sei ein „Kamerad der Freien Nationalisten München“, heißt es auf der Homepage der Gruppierung. Zudem haben die Ermittlungen ergeben, dass der Mann und die Frau auf der Beerdigung des Alt-Nazis Friedhelm Busse im Sommer auf einem Passauer Friedhof waren. Dort war es zu Ausschreitungen zwischen Rechtsradikalen und der Polizei gekommen.

Das nach dem Attentat auf Alois Mannichl festgenommene Ehepaar ist am Dienstag, den 23. Dezember wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Haftbefehle gegen die 22-jährige Frau und ihren 33 Jahre alten Mann sind aufgehoben worden, da der dringende Verdacht der Tatbeteiligung gegen die beiden Mitglieder der rechten Szene nicht aufrecht erhalten werden konnte. Sie hatten ein hieb- und stichfestes Alibi, wie das LKA der PNP bestätigte. Das Paar hatte am Tag des Mannichls-Anschlags an einer rechtsextremen Kundgebung nahe München teilgenommen. „Im Zusammenhang mit der Zeugenaussage sind Widersprüche aufgetaucht. Es gibt keine hinreichenden Hinweise, die darauf hindeuten, dass es die beschriebene Personengruppe überhaupt gibt.“ So umschrieb am 22. Januar 2009 LKA-Sprecher Christian Wacker, dass es mit der Glaubwürdigkeit der Fürstenzeller Zeugin nicht weit her sein kann.

Neben dem Pärchen hat es eine dritte Festnahme gegeben. Ein Zeuge ist im Rahmen von Überprüfungen vorläufig festgenommen worden, da er sich weigerte, Angaben zu machen. Er ist aber wieder entlassen worden.

Die Fahndung nach dem Messerstecher läuft bundesweit, wurde zudem auf Österreich und Tschechien ausgeweitet. Fünf Wochen nach dem Attentat standen die Fahnder wieder bei Null. Es gab keine heiße Spur, und dies, obwohl bereits rund 470 Zeugenhinweise eingegangen sind. Doch der entscheidende Tipp fehlte noch immer. Die Belohnung wurde daraufhin von 5000 Euro auf 20.000 Euro vervierfacht.

Spekulationen über familiären Hintergrund der Tat

Vier Wochen nach dem Anschlag gibt es immer neue Spekulationen und Zweifel an der bisherigen Darstellung des Anschlags. Auslöser dafür war ein Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“, die am 9. Januar einen großen Bericht über angebliche Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Messerattentat veröffentlichte. Die Zeitung stellte Fragen, die sich tatsächlich aufdrängen – doch Antworten musste auch sie schuldig bleiben.

Breiten Raum räumt die „SZ“ dem Tatmesser ein, das aus Mannichls Haushalt stammt und am Tattag am Fenster rechts neben der Eingangstür lag. Woher sollte der Täter wissen, dass dort ein Messer lag? Warum sollte er für einen Mordanschlag ein Küchenmesser verwenden? Warum ließ er es am Tatort zurück und warum wurden nach der Rangelei zwischen Täter und Opfer an Mannichls Kleidung keine DNA-Spuren des Angreifers gefunden, wie dies der Fall sein müsste?

„Erstaunlich“ findet es die „SZ“, „dass Mannichl nur eine sehr ungenaue Personenbeschreibung abgegeben hat“, vermengt dies geschickt mit Zeichnungen von Schlangen und Kreuz-Tattoos aus einer Zeugenaussage, bezeichnet diese Zeichnungen irrtümlich als Phantombilder und lässt einen Rechtspsychologen an der Glaubwürdigkeit Mannichls zweifeln. Einem Profi wie dem Polizeidirektor müsse eine bessere Täterbeschreibung möglich sein.

Schließlich widmet sich die „Süddeutsche“ der rechten Szene: Alle Polizeidienststellen hätten alle Dateien mit in Frage kommenden Verdächtigen ohne Erfolg durchforstet. Alle Verdächtigen? Die Großen mit Glatze, wie Mannnichl beschrieben hatte? Von denen gibt es Unmengen.

Die Passauer Polizei gerät in der Berichterstattung ebenfalls in die Kritik, da sie sich in der Ermittlung zu sehr auf einen Täter aus dem rechten Spektrum fixiert hatte.

Knapp zwei Monate nach dem Attentat ist die Familie des Opfers außer Verdacht, wie der leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walch am 11. Februar im Rahmen einer Pressekonferenz bekannt gab. Die Arbeit der 50-köpfigen Sonderkommission „Fürstenzell“ habe nicht die geringsten Hinweise ergeben, dass es sich um eine Beziehungstat im familiären Umfeld handeln könnte.

Die Fahnder schließen zudem aus, dass sich der 52-jährige Beamte die Stichverletzung selbst zugefügt haben könnte.

Medizinisches Gutachten

Fünf Wochen nach dem Attentat wurden Münchner Rechtsmediziner zu Rate gezogen. Ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) bestätigte der Passauer Neuen Presse einen entsprechenden Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Das bei den Ermittlungen federführende LKA ließ ein „Stichkanal-Gutachten“ erstellen, um zu klären, wie der Messerstich des unbekannten Täters exakt erfolgt ist. Dabei handelt es sich um einen ganz normalen Vorgang, absolut üblich bei versuchten Tötungsdelikten mit einem Messer. Die rechtsmedizinische Überprüfung bedeute keineswegs, dass man die bisherigen Aussagen des Passauer Polizeichefs anzweifle.

LKA übernimmt Ermittlungen

Das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) führte ab 2009 die Untersuchungen der Passauer Soko „Fürstenzell“ fort. Die „Soko Fürstenzell“ besteht auch nach Übernahme durch das LKA nach wie vor aus rund 50 Beamten, doch davon kommen mittlerweile rund 20 aus München – vom dortigen Polizeipräsidium und natürlich vom LKA selbst, wie dessen Sprecher Karl-Heinz Segerer am 27. Januar erklärte.

Ministerium und Staatsanwaltschaft begründeten die Kompetenzverlagerung Ende Dezember 2008 damit, dass der niedergestochene Polizeichef Alois Mannichl bald wieder in den Dienst zurückkehren könnte. „Er ist Opfer und Hauptzeuge in dem Verfahren, da kann er nicht gleichzeitig ermitteln“, erklärte Oliver Platzer, Sprecher des Innenministeriums. Es sei „insbesondere aus strafprozessualen Gründen geboten“, die Soko unter anderer Federführung fortzuführen.

Dass zu Anfang der Ermittlungen Passauer Kollegen von Mannichl eigenverantwortlich ermittelten, obwohl das Opfer ihr eigener Chef gewesen sei, widerspreche eigentlich jeder Vorgehensroutine.

Doch die Fahnder waren in den ersten vier Wochen nicht nur erfolglos, womöglich sind sie auch fahrlässig vorgegangen. Denn sie ließen es offenbar zu, dass rechtsextreme Kreise an die Adresse einer Zeugin aus Fürstenzell gelangten. Wie das Magazin „Stern“ schreibt, wurde die Frau wenig später von einem Unbekannten bedroht – ihre Beschreibung des Mannes ähnelt frappierend der des mutmaßlichen Mannichl-Attentäters. Unter dem Titel „Fall Mannichl: Blamage für Ermittler“ berichtete der „Stern“ am 12. Januar 2009 auf seinen Internet-Seiten über den bislang unbekannten Vorfall. Von „haarsträubenden Pannen“ ist darin die Rede. Bei der Zeugin handelt es sich um eine 58-Jährige aus Fürstenzell. Offenbar lieferte sie der Polizei die Hinweise auf verdächtige Personen mit auffälligen Tätowierungen, nach denen auch vier Wochen nach dem Attentat immer mit Phantomzeichnungen gefahndet wurde.

Zwar soll ein Polizeipsychologe zunächst die Glaubwürdigkeit der Zeugin bestätigt haben, fünf Wochen nach der Tat haben die Fahnder offenbar erhebliche Zweifel. Das gilt auch für die Geschichte der Frau, dass sie einige Tage nach ihrer Aussage selbst zu Hause von einem Neonazi bedroht worden sein soll.

Nachdem es knapp zwei Monate nach dem Anschlag vor Mannichls Wohnhaus in Fürstenzell immer noch keine heiße Spur vom Täter gab, hatten sich Medienberichte über Ungereimtheiten gehäuft. Mittlerweile ging man davon aus, dass sich die Ermittlungen noch lange hinziehen werden.

Gut ein Vierteljahr, nachdem das LKA die Ermittlungen übernommen hatte, wurde die Soko „Fürstenzell“ verkleinert. Statt bislang 50 Beamten fahndeten nun 30 Ermittler von Passau aus nach dem Täter.

Abrücken der Münchner Sonder-Fahnder

Rund acht Monate nach dem Anschlag auf Alois Mannichl ging der 20 Mann starke Rest der ehemals 50 Ermittler umfassenden Sonderkommission zurück in seine Dienststellen beim Münchner Polizeipräsidium und im Bayerischen Landeskriminalamt (BLKA). Die Sonder-Fahner sind am 14. Juli 2009 aus Passau abgerückt. Die Zusammenarbeit werde allerdings fortgesetzt, um den Fall doch noch zu klären.

Die Soko-Fahnder gingen in den vergangenen Monaten mehr als 1.500 Hinweisen aus der Bevölkerung nach, befragten mehr als 2.000 Personen. Sie ermittelten das regionale rechte Spektrum aus, stellten Nachforschungen im Rocker-Milieu an und durchleuchteten das Umfeld der Familie. Die Ermittler glauben an einen Einzeltäter mit rechtsradikalen Hintergrund, der sich an dem Passauer Polizeidirektor rächen wollte. Mannichl selbst hält es für durchaus wahrscheinlich, wie er einst der PNP sagte, dass der Attentäter aus dem benachbarten Österreich stammt. Alois Mannichl ist inzwischen Sachgebietsleiter im neuen Polizeipräsidium Straubing.

Ein Jahr nach dem Attentat ist die Soko des LKA auf zehn Ermittler reduziert. Sie beschäftigen sich ausschließlich mit dem Fall Mannichl und arbeiten noch rund 450 offene Spuren ab. Eine heiße Spur sei jedoch nicht dabei, sagt Passaus Leitender Oberstaatsanwalt Helmut Walch im Dezember 2009.

Ermittlungspannen

Bei den Ermittlungen zu der Messerattacke hat es mehre Ermittlungsfehler gegeben. Ermittler hatten kurz nach der Tat versäumt, bei dem Opfer DNA-Material unter den Fingernägeln zu sichern, obwohl Mannichl unmittelbar ausgesagt hatte, er habe eine Rangelei mit dem Täter gehabt. Der Leiter der Ermittlungen, Leitender Oberstaatsanwalt Helmut Walch, räumte das Versäumnis ein. Normalerweise wird bei solchen Verbrechen unter den Fingernägeln des Opfers routinemäßig nach Genspuren geschaut.

Zudem fahndete die Polizei dem Bericht zufolge zunächst nur in Bayern, obwohl der Tatort Fürstenzell keine 15 Autominuten von der österreichischen Grenze entfernt liegt. Mannichl hatte davon gesprochen, dass der Täter seine „Grüße vom nationalen Widerstand“ in „bayerischem Dialekt mit österreichischer Einfärbung“ formuliert hatte. Die dringende Bitte, eine Sofortfahndung einzuleiten, habe die österreichische Polizei erst gut zwei Stunden nach der Tat und damit viel zu spät erreicht.

Bereits kurz nach dem Attentat sind etliche Ermittlungspannen in dem Fall bekanntgeworden. So hatte die Kripo zunächst auch nicht alle Spuren in Tatortnähe gesichert und nach mehreren Tätowierten gesucht, die wohl nichts mit dem Verbrechen zu tun hatten.

Streit mit Staatsanwaltschaft

Ein Jahr nach dem Attentat häufen sich die gegenseitigen Anschuldigungen zwischen Alois Mannichl und der ermittelnden Staatsanwaltschaft. Der ehemalige Passauer Polizeichef hat im Dezember 2009 einen Rechtsanwalt eingeschaltet, um sich gegen die Kritik des Leitenden Oberstaatsanwalts Helmut Walch zu wehren. Hauptstreitpunkt zwischen Chefermittler und Opfer sind die angeblichen Versäumnisse bei der Spurensicherung nach dem Mordanschlag. Mannichl hatte unter anderem in der „Bild am Sonntag“ kritisiert, dass direkt nach der Tat keine DNA-Proben unter seinen Fingernägeln genommen worden seien – obwohl „ich den Täter am Arm gepackt habe und er sich losgerissen hat“.

Helmut Walch will diesen Vorwurf in Richtung Ermittlungsbehörden nicht gelten lassen. Mannichl habe es offenbar selbst als unnötig betrachtet, Spuren unter seinen Nägeln sichern zu lassen, hatte er am Vortag gegenüber der PNP betont. Walch: „Ich gebe zu bedenken: Mannichl weiß um den Beweiswert von Fingernagelproben - und er war zu der Zeit der Vorgesetzte der Beamten.“

Diese Kritik hält Mannichls Rechtsanwalt, Erhard Frank aus Burghausen, für „eine Zumutung“. „Man könnte sagen, das schlägt dem Fass den Boden aus“, bewertet der Anwalt die Aussage. Mannichl sei in diesem Fall das Opfer, nicht der Ermittler. Außerdem sei der Polizeichef bei der Attacke vor seinem Haus in Fürstenzell schwer verletzt worden.

Leitender Oberstaatsanwalt Walch hatte zudem Kritik an den aus seiner Sicht widersprüchlichen Aussagen des Opfers geübt. So habe Mannichl bei der ersten Anhörung nach dem Anschlag gesagt, dass es keinen unmittelbaren Kontakt mit dem Täter gegeben habe. Bei der späteren Vernehmung im Januar habe Mannichl dagegen von Hautkontakt mit dem Angreifer gesprochen. Der ehemalige Polizeichef habe sich auch in Widersprüche verstrickt bei der Begründung, warum er das Küchenmesser vor seinem Haus habe liegen lassen. Der Täter hatte damit auf Mannichl eingestochen. Walch begründet den via Medien ausgetragenen Streit so: „Wir müssen uns gegen die permanenten Vorwürfe des Herrn Mannichl zur Wehr setzen.“ Dieser verdrehe Dinge.

Alois Mannichl findet es „komisch“, dass ausgerechnet dann angebliche „Ungereimtheiten“ in seinen Aussagen aufkommen, wenn zuvor Ermittlungspannen publik geworden sind. „Ich sehe das als Einschüchterungsversuch, damit in meinem Fall nicht noch mehr und viel schlimmere Ermittlungspannen bekannt werden.“ Rechtsanwalt Frank hat den Angaben nach einen „geharnischten Brief“ ans bayerische Justizministerium gerichtet. „Es kann nicht sein, dass zwischen den Ermittlungsbehörden gestritten wird.“

Der Streit wurde Anfang Februar 2010 beigelegt. „Ich bin dem Generalstaatsanwalt sehr dankbar“, sagte Alois Mannichl zur PNP. Generalstaatsanwalt Christoph Strötz sei „sehr“ aktiv geworden, um den Streit zwischen dem ehemaligen Passauer Polizeidirektor und dem Passauer Leitenden Oberstaatsanwalt Helmut Walch zu schlichten. Daher habe Mannichl die Beschwerde über die Passauer Staatsanwaltschaft zurückgezogen.

Zusammenhang mit der Terrozelle NSU?

Im Zuge der Aufklärung der Neonazi-Mordserie und der Aktivitäten der Zwickauer Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die im Herbst 2011 bekannt geworden sind, wurden unter anderem auch neue Indizien bekannt, die auf eine Verbindung zur Messerattacke auf Mannichl hindeuten könnten. So berichtete die „Frankfurter Allgemeine“ am 17. November 2011 in ihrer Internet-Ausgabe, dass nicht erst nach der Enttarnung der rechtsextremistischen Thüringer Terrorzelle, sondern schon im Sommer 2010 von einer Neonazi-Band das Lied „Dönerkiller“ veröffentlicht wurde. In dem Song auf der CD „Adolf Hitler lebt“ werden die nun Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zur Last gelegten Morde an acht türkischstämmigen und einem griechischen Geschäftsmann als ausländerfeindliche Anschlagsserie gefeiert.

Ein Mitglied dieser rechtsextremen Szeneband namens „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“, Daniel Giese, wirke auch in anderen Musikgruppen mit, heißt es bei faz.net. Mit der Formation „Stahlgewitter“ habe Giese in dem Lied „Lebt denn der alte Mannichl noch?“ das Messer-Attentat auf den Polizeichef thematisiert.

Doch auch 2012, vier Jahre nach dem Attentat, gibt es nach wie vor noch keine heiße Spur. „Wir haben keine konkreten Anhaltspunkte, denen wir nachgehen müssten“, sagte der Passauer Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walch der PNP im Dezember. Allerdings sei die Ermittlungsakte noch nicht geschlossen worden, das Verfahren sei noch offen.

Hetzkampagne

In einem PNP-Interview vom 5. März 2009 kritisiert Alois Mannichl, er und seine Familie seien „in einer Hetzkampagne vom Opfer zum Täter gemacht“ worden. Was er und seine Familie nach dem Attentat erlebt hätten, sei „die gesellschaftliche Vernichtung der Familie Mannichl“ gewesen. Mannichl kritisierte in diesem Zusammenhang Ermittler, die in anonymen Stellungnahmen gegenüber Münchner Zeitungen das Bild einer Beziehungstat gezeichnet hätten. Seine Passauer und Münchner Kollegen aus der „SoKo Fürstenzell“ nahm er von dem Vorwurf aber ausdrücklich aus. Auch die Staatsanwaltschaft, die bereits sehr früh von „Merkwürdigkeiten“ gesprochen habe, das aber nicht belegen könne, kritisierte Mannichl. Sollte sich bei einer Revision der Ermittlungen „ergeben, dass gravierende Fehler gemacht wurden, dann hoffe ich, dass sich jemand hinstellt und sagt: Tut uns leid, wir dürfen diese Fehler nicht auf dem Rücken des Betroffenen ausschweigen“, sagte Mannichl. Seinen Vorgesetzten bescheinigte Mannichl in dem Gespräch Unterstützung. Zu einem normalen Alltag sei die Familie aber noch nicht zurückgekehrt. Mannichl fühlt sich bis heute bedroht: „Ich befürchte nach wie vor, dass ich nicht aus dem Schussfeld bin.“

Reaktionen

Bestürzung und Betroffenheit herrscht in der Hauptstadt über die mutmaßliche Neonazi-Attacke auf den Polizeichef von Passau. „Ein solcher Mordversuch ist in der Tat eine neue Qualität“, betonte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin. Rechte Gewalt sei eine „sehr gravierende Herausforderung für den freiheitlichen Rechtsstaat“. Gar mit dem Terror der RAF verglich Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) die Tat: Sie erinnere ihn an die Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto 1977 – dies sei ein „legitimer Vergleich“. Entrüstung nach dem brutalen Übergriff, aber auch ein neu entflammter Streit über politische Konsequenzen aus den rechtsextremistischen Gewalttaten. Die zuletzt ruhende Debatte über einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbot kam wieder voll im Gang.

Merkel schließt einen neuen Anlauf für ein Verbotsverfahren aber nicht aus. Es müsse aber erfolgversprechend sein. „Das Schlimmste, was passieren könnte, ist, dass ein zweites Verfahren scheitert“, sagte sie. Wowereit und Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sagten, für alle Länder habe die Bekämpfung des Rechtsextremismus und verfassungswidriger Parteien oberste Priorität. Es gebe aber nach wie vor unterschiedliche Beurteilungen, ob ein NPD-Verbotsantrag derzeit durchsetzbar sei. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) und sein Amtskollege aus Bayern, Horst Seehofer (CSU), wollen dennoch ein Verbot der NPD weiter konkret vorantreiben.

Die bayerische Staatsregierung ging ab Januar 2009 verstärkt gegen den Rechtsextremismus vor. Das Kabinett beschloss am 12. Januar 2009 ein neues Handlungskonzept, das unter anderem einen höheren „Verfolgungsdruck“ gegenüber Neonazis vorsieht. Die Erfolgsaussichten eines erneuten NPD-Verbotsverfahrens sollen „sorgfältig geprüft“ werden. Außerdem wird der Schutz von Polizeibeamten vor dem Hintergrund des Messerangriffs auf den Passauer Polizeichef erweitert.

Der Passauer Bischof Wilhelm Schraml versichert, Mannichl dürfe sich im Gebet begleitet wissen. Fürstenzells Bürgermeister Franz Lehner ist schockiert: „Das sind amerikanische Verhältnisse, die eine Dimension erreicht haben, die nicht sein darf.“ Sollte sich bestätigen, dass das Verbrechen einen rechtsradikalen Hintergrund habe, warnt Lehner: „Dann ist dies nicht die wahnsinnige Tat eines Einzelnen, sondern womöglich nur die Spitze von vielen, die dahinter stecken.“

Unterdessen erlebten Stadt und Landkreis Passau eine breite Welle der Solidarität für Alois Mannichl und starke Signale gegen rechte Gewalt. In der Passauer Fußgängerzone demonstrierten gut 300 Menschen, im Passauer Kreistag stand das Attentat am Nachmittag auf der Tagesordnung. In einer gemeinsamen Erklärung von Politik und Verwaltung heißt es: „Rechtsextremismus muss bereits in Schule und Ausbildung im Keim erstickt werden.“ Einem Gutachten zufolge sympathisieren im Landkreis Passau 6,2 Prozent der Jugendlichen mit rechtsradikalem Gedankengut.

Demonstrationen

13. Dezember / Fürstenzell

Nach dem Mannichl-Attentat nahmen fast 300 Teilnehmer an einer spontaner Demonstration gegen Rechts in Passau teil.

15. Dezember / Passau

Unter den gut 300 Teilnehmern einer am 15. Dezember vormittags im Eilverfahren anberaumten Demonstration anlässlich des Attentates auf Polizeichef Alois Mannichl waren auch zahlreiche Stadträte und Abgeordnete verschiedener Parteien sowie Oberbürgermeister und Landrat. Bei der Auftaktkundgebung am ZOB sagte OB Jürgen Dupper in einer fünfminütigen, emotional gehaltenen Ansprache: „Dieser feige Anschlag auf einen untadeligen Polizisten und couragierten Mitbürger galt nicht nur Alois Mannichl, dieses feige Attentat ist ein Angriff auf uns alle.“

Organisiert hatte den spontanen Solidaritätsmarsch der Passauer Student Torben Hennings (22), der von weiteren Studierenden unterstützt und von OB wie Landrat für sein Engagement gelobt wurde. Begleitet von zahlreichen Kamerateams und etlichen Journalisten setzte sich anschließend ein Protestzug über Ludwigsplatz und Fußgängerzone zum Residenzplatz in Bewegung. Immer mehr Menschen schlossen sich unterwegs dem Aufzug an.

22. Dezember / Fürstenzell

Neun Tage nach dem Mordanschlag vor Mannichls Haustür haben die Bürger in seiner Heimatgemeinde Fürstenzell und der ganzen Region am Abend des 22. Dezember ein beeindruckendes Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt. 700 Menschen kamen trotz widrigster Wetterverhältnisse zusammen. Gesprochen wurde nichts, doch die vielen Kerzen sagten mehr aus als tausend Worte.

3. Januar 2009 / Passau

„Passau ist bunt, nicht braun“ - nach diesem Motto haben sich am 3. Januar 2009 gut 1.000 Bürger gegen einen Aufmarsch der rechten Szene in ihrer Stadt gewehrt. Ein Großaufgebot der Polizei hielt die beiden Demonstrationszüge während des gesamten Nachmittags und Abends strikt getrennt. So kam es praktisch zu keinerlei Zwischenfällen; allerdings war das städtische Leben stark eingeschränkt.

Literatur

Dies ist ein ausgezeichneter Artikel.
Diesem Artikel wurde am 22. Juli 2010 das Prädikat „Ausgezeichneter Artikel“ verliehen.