Luchsprojekt des Nationalparks Bayerischer Wald

Aus RegioWiki Niederbayern
Wechseln zu: Navigation, Suche
Horst Burghart beim Herunterladen der Daten im Rahmen des Luchs-Projektes im Mai 2011. (Foto: Eisenschink/PNP)
Mogli-Luna (links) trägt den Gewinner-Namen von Jasmin Schmied aus Pfarrkirchen. Die Spekulation, dass Luchsmama Tessa, rechts im Bild, ein zweites Junges haben könnte, ist im Dezember 2011 noch nicht vom Tisch, aber auch nicht bestätigt. Luchse werfen in der Regel ein bis zwei Junge.(Fotos: Nationalpark /Schnall)

Das Luchsprojekt des Nationalparks Bayerischer Wald war ein von 2009 bis 2013 laufendes Projekt des Nationalparks Bayerischer Wald, der mit neuester Technologie Erkenntnisse über das Leben von Luchsen gewinnen wollte. Das Luchsprojekt war eine Kooperation der Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava. Der WWF Deutschland unterstützte das Forschungsprojekt.

Das Team des Luchsprojekts informiert das ganze Jahr über bei Führungen und Vorträgen, in Seminaren und Arbeitskreisen, auf Fachtagungen und Ausstellungen.

2011 trugen fünf Luchse, 31 Rehe und 17 Rothirsche ein solches, je nach Tierart bis zu 750 Gramm schweres Halsband mit einem integrierten GPS-Empfänger. Als „Telemetry Team“ arbeiten die Forschergruppen aus dem Nationalpark Bayerischer Wald und dem angrenzenden tschechischen Parkteil grenzüberschreitend zusammen. Die Tiere nutzen den Gesamtlebensraum des Bayerisch-Böhmischen Waldes. So verbringen zum Beispiel einige Hirsche den Sommer in den Hochlagen auf tschechischer Seite, den Winter aber in Bayern.

Der Luchs in Europa

Der Luchs ist seit der Wiederansiedlung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im größten streng geschützten Waldgebiet Mitteleuropas wieder heimisch. Hier bieten sich dem Luchs Lebens- und Jagdraum in den aneinander angrenzenden Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava. Die Wiederansiedlung dieses eleganten Grenzgängers birgt jedoch auch Konfliktpotentiale in sich. Vorurteile und Unwissenheit machen den Luchs zum „Jagdkonkurrenten“ für Jäger und einer „Gefahr“ für Wild- und Nutztier. Obwohl viele skeptisch waren, ob es für den Luchs noch genügend Lebensraum in Mitteleuropa gibt, zeigen die Tiere, dass es sich in der Grenzregion Bayern-Böhmen gut leben lässt. Diese waldreiche Landschaft ist ein geeignetes Habitat für den Rückkehrer Luchs.

Insgesamt 16 Raubkatzen leben derzeit im Nationalpark Bayerischer Wald und im angrenzenden tschechischen Park Šumava. Es ist neben dem Harz die größte Luchs-Population Deutschlands (Stand 2011).

Über das Projekt

Wildtier-Forschung

Die Forscher des Nationalparks Bayerischer Wald gehen den Fragen nach, wie sich Wildtiere in der unberührten Natur des Nationalparks bewegen, welchen Tagesrhythmus sie haben und was sie fressen. Ein Schwerpunkt dabei: die Räuber-Beute-Beziehung zwischen Luchs und Reh bzw. Rotwild. Gemeint sind damit die Interaktionen von Luchs und seinen potentiellen Beutetieren: Gibt es tatsächlich weniger Rehe in Luchsrevieren? Verhalten sich die Beutetiere vorsichtiger? Wandern die Rehe aus oder werden sie vom Luchs stark dezimiert? Solche und ähnliche Fragen werden im Luchsprojekt beantwortet.

Tiere kennen keine politischen Grenzen, daher wird die Forschung gemeinsam mit den tschechischen Nachbarn betreiben, um deren Wildtiere sowie deren Lebensraum zu schützen. Rothirsche, Rehe und Luchse tragen für das Projekt GPS-GSM-Halsbandsender. So können die Tiere via SMS Daten über ihren Aufenthaltsort und ihre Aktivitäten an die Forscher senden.

Ein wissenschaftlicher Beirat, bestehend aus zwölf Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, begleitet das Projekt. So können Anregungen, Kritik und Erfahrungen grenz- und fachübergreifend ausgetauscht werden. Forschungsergebnisse werden auch mit dem Luchsprojekt Bayern ausgetauscht.

Methode

Zum Einsatz kommen Radiotelemetrie, Wärmebildkameras, Fotofallen, Haarfallen und molekulargenetische Methoden. Über ein Satelliten- und Mobilfunksystem erhalten die Forscher Informationen über die besenderten Luchse. Mit 60 Fotofallen können freilebende Luchse aufgenommen und dokumentiert werden.

Rund 3.500 Euro ist das Halsband wert, das ein Luchs um den Hals trägt. Es muss eng anliegen, damit der Luchs nirgends hängen bleibt, und wiegt rund 300 Gramm. Es enthält hochmoderne Technik. Luchse, aber auch Rothirsche und Rehe bekommen in der Regel kombinierte GPS-GSM-Halsbandsender. Über GPS wird in bestimmten Abständen der Aufenthaltsort der Tiere bestimmt. Nach einer bestimmten Zahl von Peilungen versucht das Global System for Mobile Communication (GSM), eine SMS über das Mobilfunknetz an die Empfangsstation in der Nationalparkverwaltung in Grafenau zu schicken. Damit lässt sich der Weg der Tiere auf einer Landkarte darstellen. Von Grafenau aus können auch die Einstellungen am Halsband geändert werden.

Zudem registriert das Halsband alle paar Minuten mit Sensoren die Aktivität des Tieres und seine Körpertemperatur. Die Daten werden auf einem Chip gespeichert. Dadurch können die Forscher etwa feststellen, wie lange ein Reh am Tag frisst oder wie lange ein Luchs ruht.

Die Daten können über den ebenfalls im Halsband integrierten VHF-Sender (Very High Frequency) abgerufen werden. Der VHF-Sender überträgt auf einer individuellen Frequenz ein Funksignal, das mit einer Antenne und einem Empfänger gehört werden kann. So kann auch die Position des Tieres durch Kreuzpeilung ermittelt werden. Anhand des Signals wird die Richtung bestimmt, in der sich das Tier befindet. Dann wird es von einem anderen Standort angepeilt, so dass ein Schnittpunkt entsteht.

Der erste besenderte Luchs

Als erster Luchs weltweit bekam Luchs Milan 2005 ein Halsband mit Telekom-Anschluss verpasst. Liebeshunger trieb den damals dreijährigen Luchs den Forschern zu. Sehnsüchtig sprang er während der Paarungszeit in ein am Nationalpark gelegenes Luchs-Gehege zu seiner Luchs-Dame - und schaffte es nicht mehr hinaus. Bevor die Luchsforscher ihn in die Freiheit entließen, legten sie ihm das Band mit dem Sender um den Hals.

Das Luchs-Projekt startete dann 2009. Mit Hilfe der Sender, aber auch anhand der Bilder aus den seit 2009 aufgestellten 60 Foto-Fallen mit je zwei Kameras erfahren die Mitarbeiter des Pilotprojekts Einzelheiten über das Leben der Wildtiere. Daten aus dem Halsband zeigen die Standort-Koordinaten und – anhand von Beschleunigungsdaten – die Aktivität des Luchses. Das scheint nicht viel zu sein, doch können die Forscher daraus etwa Fressgewohnheiten oder das Verhalten bei der Aufzucht der Jungen rekonstruieren sowie Wanderrouten und Ruheplätze erkennen.

Datei:PNP-04-02-11-Luchse.jpg
Beide Jungtiere von Nora konnten am 24. Dezember 2010 auf einer Fotofallen-Aufnahme bestätigt werden. (Foto: Nationalpark)

Nachwuchs 2010/2011

Die Fotofallen bestätigen die für den freilebenden Luchs guten Lebensbedingungen im Bayerischen Wald im Januar/Februar 2011 anhand seiner Vermehrung. Nora, die besenderte Luchsin, ist im Winter 2010/2011 mit zwei Jungtieren unterwegs. Der Nachwuchs, geboren im Sommer 2010, wurde am Weihnachtstag mit einer Fotofalle abgelichtet. Gemeinsam mit ihrer Mutter Nora wurden die beiden auch an einem gerissenen Reh im Nationalpark aufgenommen. Hierfür wurde extra eine Infrarot-Kamera aufgestellt, um zu beobachten wer dort unterwegs ist.

Nora, die auf neun Jahre geschätzt wird, hat die letzten Jahre immer wieder erfolgreich Junge großgezogen. Die Jungensterblichkeit beträgt bei Luchsen in den ersten Lebensjahren bis zu 80 Prozent. Wie viele Luchse also tatsächlich stark genug sind, sich ein eigenes Revier zu suchen, ist nicht sicher.

Das Diagramm von 2011 zeigt: Wenn es dunkel ist, ist Luchs Tessa unterwegs. Tagsüber ist sie weniger aktiv. (Foto: Eisenschink/PNP)

Aktivitätsverhalten im Frühjahr 2011

Die junge Luchsin Tessa, die seit März 2011 mit einem Sendehalsband ausgestattet war, streifte durch Teile des Nationalparks und dessen Vorfeld. Seit Mitte April war sie vor allem zwischen Kirchdorf im Wald und Spiegelau unterwegs. Im August und September 2011 streifte sie bevorzugt durch das Gebiet zwischen Frauenau und Klingenbrunn. Es wird auch vermutet, dass Tessa hier im Mai/Juni ihre Jungen zu Welt gebracht hat. Da das Tier allerdings seit dem Frühjahr 2011 in keine Fotofalle getappt ist, kann man nur vermuten, dass die Luchsin Nachwuchs bekommen hat, mit dem sie sich auf 5.500 Hektar Gelände bewegt. Zeitweise bekam Tessa auch Besuch von dem Luchskuder Kika. Insgesamt drei Nächte verbrachten die beiden miteinander. Vermutlich ist Kika auch der Vater der Jungen. Nach weiten Wanderungen nach Bayrisch Eisenstein und Sumava wurde er dann im Rachel-Lusen-Gebiet entdeckt. Im Früjahr 2011 gelang es den Mitarbeitern des Luchsprojektes, Kika in der Nähe des Tierfreigeländes zu fangen.

In der Grafik ist die Aktivität Tessas im Tageslauf vom Zeitpunkt des Fangs im März bis Mai 2011 zu sehen. Am aktivsten ist Tessa in der Abend- und in der Morgendämmerung. Auch Nachts ist sie unterwegs, allerdings mit Unterbrechungen. Tagsüber ruht sie sich von ihren nächtlichen Streifzügen aus. Dafür sucht sie sich möglichst ungestörte Orte, die als Tageslager bezeichnet werden.

Um den Aktivitätsverlauf näher zu verstehen, wird exemplarisch ein Tag betrachtet: Am 16. April hat sich Tessa noch in der Nähe von Spiegelau aufgehalten. Sie ist dann acht Kilometer weit gewandert und hatte am Abend des 17. April Erfolg bei der Jagd: In der Nähe von Kirchdorf konnte sie ein Reh reißen. Nachdem sie an dem Reh gefressen hatte, verbrachte sie den nächsten Tag in einem Tageslager etwa zwei Kilometer Entfernung vom Rissort. Am nächsten Abend kehrte sie zu dem Reh zurück, um erneut zu fressen. Insgesamt suchte sie das Reh sechs Nächte auf, bis sie es vollständig „verspeist“ hatte.

Überfahrendes Jungtier 2011

Im Februar 2011 wurde auf der Staatsstraße bei Reinhartsmais ein junger männlicher Luchs überfahren. Das Tier war im Projekt bekannt, da es Anfang Januar 2011 in eine Fotofalle zwischen Grafling und Dreitannenriegel tappte. Der Luchs wog nur elf Kilogramm, war aber wohl bereits in der Lage, sich allein zu ernähren, da er nicht in Begleitung seiner Mutter war, wie die Spuren im Schnee ergaben.

Nachwuchs 2011/2012

Auch die Luchsin Tessa bekam Nachwuchs, wie aus Fotofallen hervorging. Die PNP hatte dazu ein kleines Gewinnspiel ausgelobt, um dem Nachwuchs, von dem noch nicht bekannt war, ob es sich um ein Männchen oder Weibchen handelt, einen Namen zu geben. 300 Leser haben über die Taufe des Luchsbabys abgestimmt, fast ein Drittel hat sich dabei für Mogli bzw. Luna entschieden. Platz zwei belegen Wiggerl bzw. Rosa, auf Platz drei haben es Loiserl bzw. Luiserl geschafft.

Tod Tessas März 2012

Am 12. März 2012 wurde Tessa tot in einem Waldstück in der Nähe von Rinchnach im Landkreis Regen im westlichen Vorfeld des Nationalparks gefunden, nachdem ihr Tele-Halsband keine Bewegungen mehr verzeichnete. Nach außen wies sie keine erkennbaren Verletzungen auf, jedoch soll sie sehr aufgedunsen ausgesehen und Durchfall gehabt haben. Mogli/Luna wurde nicht gesehen, Nationalparkchef Leibl beschreibt aber die Überlebenschancen als „nicht schlecht“.

Ein Gutachten des Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin ergab schließlich, dass Tessa vergiftet wurde. Veränderungen an der Leber deuteten auf eine Vergiftung hin. Dies bestätigte die Untersuchung eines Rehbock-Kadavers am Zentrum Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsmedizin in Göttingen. Der Bock lag wenige hundert Meter von Tessas Auffindeort entfernt. Das Tier war am Hals mit einem Messer aufgeschnitten, in der Wunde befand sich schwarzes Granulat – ebenso an den Hinterläufen, der Stelle, an der Luchse mit dem Fressen beginnen. Dieses Granulat, das als das hochgiftige Insektenvernichtungsmittel Carbofuran identifiziert wurde, wurde auch in Tessas Magen gefunden. Carbofuran ist EU-weit verboten. Bekannt unter dem Namen Furadan wurde es immer wieder zur Herstellung illegaler Giftköder benutzt. Ob Tessa den Bock selbst geschlagen und dieser dann mit dem Gift versehen wurde, oder ob das Tier bereits präpariert abgelegt wurde, ließ sich nicht mehr feststellen.

Franz Leibl erstattete bei der Staatsanwaltschaft Deggendorf Anzeige gegen Unbekannt. Die Trägergemeinschaft des Luchsprojekts, die Gregor Louisoder Umweltstiftung, die Umweltschutzorganisation WWF und der Ökologische Jagdverein Bayern haben eine Prämie von insgesamt 18.000 € für Hinweise auf den Luchsmörder geboten. Diese hohe Summe wurde von einen PNP-Leser nochmals um 1.000 € aufgestockt. Anfang September 2012 wurde das Verfahren rund um die vergiftete Luchsin jedoch eingestellt. Der Staatsanwaltschaft war es nicht gelungen, Täter oder Tatverdächtige zu ermitteln.

Abschluss des Projekts

Auch Mitte Mai 2013 hingen die Luchse weiter am Tropf der Nationalparke Bayerischer Wald und Šumava. Denn obwohl der Lebensraum Böhmerwald Platz für 46 Tiere bieten würde, gab es zu diesem Zeitpunkt nur 16 bestätigte erwachsene Individuen. Und trotz des jährlichen Nachwuchses von bis zu neun Tieren nahm deren räumliche Ausbreitung nicht zu. Über Ursachen wurde 2013 auf der Abschlussveranstaltung des vierjährigen grenzüberschreitenden Luchs-Forschungsprojekts diskutiert. Mit eine Rolle spiele sicher die illegale Beseitigung der Tiere. Aufklären über die biologische Funktion des Luchses in der freien Wildbahn und die professionelle Vermittlung zwischen den Interessengruppen Jäger und Luchsbefürworter sei der beste Ansatz.

Bald darauf erwies sich, dass ein Teil der Jägerschaft im Vorfeld des Nationalparks die Situation anders einschätzt – es gebe schon jetzt zu viele Luchse und zu wenig Wild. Im Juli 2013 fand bei Arnbruck Jäger Konrad Silberbauer ein von einem Luchs gerissenes Reh in seinem Revier und erklärte, der Luchs bringe ihn um seine Einnahmen wegen fehlender Wild-Erlöse. Allein in seinem 1.000 Hektar großen Jagdrevier gebe es drei Luchse, die Rotwild jagen und andererseits nur um die 25 Rehe.

Zudem hatten Spaziergänger bereits am 8. Mai 2013 im Bereich des Silberbergs bei Bodenmais die leblose Wildkatze entdeckt und den Fund der Gemeinde gemeldet. Eine Untersuchung ergab, dass es sich bei dem toten Tier um ein etwa zweijähriges Weibchen handelt, das durch Schüsse in die Brust getötet wurde: Die Lunge wurde schwer verletzt, das Tier starb an inneren Blutungen. Der unbekannte Täter verwendete breit streuende Schrotmunition. Die Luchsin hätte in wenigen Tagen drei Kinder zur Welt gebracht. Der Kadaver wurde neben einem frequentierten Wanderweg gefunden. Gut möglich, dass der Täter die Luchsin woanders erschossen und dort abgelegt hat – ganz demonstrativ, vermutete ein Jagdexperte aus dem Bayerischen Wald, als Zeichen: Seht her, wir wollen die Luchse hier nicht haben und machen mit ihnen, was wir wollen.

Tatsächlich sind die wenigen Exemplare der streng geschützten Raubkatze nach wie vor einigen im Bayerischen Wald ein Dorn im Auge. Untersuchungen haben ergeben, dass 89 Prozent der Nationalpark-Besucher den Luchs „sympathisch“ finden. Bei den Einheimischen sind es deutlich weniger, aber immerhin noch 68 Prozent. Rund ein Drittel der befragten Bayerwald-Bewohner gab jedoch an, Angst vor dem Luchs in freier Wildbahn zu haben.

Siehe auch

Literatur

Weblinks