Räterepublik
Die in München ausgerufene Räterepublik von 1919 hatte auch Auswirkungen auf Niederbayern und den Landkreis Altötting.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurden in Deutschland alle monarchistischen Regierungen gestürzt. In Bayern geschah dies am 8. November 1918, als König Ludwig III. gestürzt wurde. Auf dem Weg zur Eröffnung des ersten bayerischen Landtags wurde Kurt Eisner von Graf Anton Arco-Valley niedergeschossen. Danach brach in München der Bürgerkrieg aus. Die Revolution und die folgende Zeit führten immer mehr zu einem gesetzlosen Zustand.
Die Räterepublik in Straubing
Am Abend des 8. Novembers 1918 zogen an die 300 meuternde Soldaten mit roten Fahnen durch Straubing und riefen die Revolution aus. Vereinzelt stahlen die Revolutionäre Lebensmittel und Waffen, größtenteils verhielten sie sich aber friedlich.
Am nächsten Tag wurde ein Arbeiter-, Soldaten- und Bürgerrat gebildet, der sich zusammen mit dem Stadtmagistrat um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung bemühte. Nach der Ermordung Kurt Eisners übernahm die USPD die Führung im Arbeiterrat und proklamierte am 7. April 1919 die Räterepublik für Straubing, ohne dass sich dadurch für die Einwohner etwas änderte. Der Arbeiterrat stellte sich bald hinter die Regierung von Ministerpräsident Hoffmann und nahm die Ausrufung der Räterepublik bereits nach zwei Tagen wieder zurück.
In der Folgezeit wurde der Gäuboden Aufmarschgebiet für die Truppen der Regierung Hoffmann, die von Straubing aus gegen München und das Oberland vorrückten. Der Führer der Freikorps, Rudolf Kanzler, richtete in Straubing seinen Stab ein. Über 1000 Gewehre wurden an Angehörige von Volkswehren ausgegeben, die in und um Straubing gebildet wurden. Nach der Niederschlagung der Räterepublik wurden zahlreiche verhaftete Anhänger der Räterepublik sowie radikale Führer des Bayerischen Bauerbundes im Straubinger Gefängnis interniert.
Die Räterepublik in Passau
Bereits am 7. November 1918 verbreiteten sich in Passau die ersten Gerüchte über die Revolution in München. Am nächsten Tag wurde ein Soldaten- und Arbeiterrat gebildet, der zunächst Gefangene aus dem Oberhaus und dem Amtsgericht befreite. Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung stellte man eine 200 Mann starke Bürgerwehr auf.
Nach der Ermordung Kurt Eisners am 21. Februar 1919 bildete der Soldaten- und Arbeiterrat einen siebenköpfigen Vollzugsausschuss, der die Vollzugsgewalt über die Stadt und den Bezirk Passau übernahm. In der Folge wurde die konservative Donau-Zeitung zensiert, Lebensmittel beschlagnahmt und öffentliche Versammlungen verboten. Insbesondere auf Betreiben des Soldatenrats Heinrich Rothmund wurde am 7. April 1919 für Passau die Räterepublik proklamiert, während sich die meisten anderen niederbayerischen Orte für die Regierung Hoffmann aussprachen.
Die Räterepublik dauerte in Passau acht Tage und blieb unblutig. Nachdem unzufriedene Passauer mit einem Generalstreik das öffentliche Leben lahmzulegen drohten und den sofortigen Rücktritt des Vollzugsrats und die Beendigung der Räterepublik forderten, gab der Vollzugsrat nach. Am 15. April 1919 wurde die Räterepublik in Passau aufgelöst. Der Hochverratsprozess gegen die relativ zurückhaltenden Revolutionäre endete mit Freisprüchen.
Die Räterepublik in Burghausen
Zwei Tage nach dem Umsturz in München, am 9. November 1918, fand in Burghausen eine Kundgebung statt, an der weit mehr als 1.000 Personen teilnahmen. Die Burghausener waren einem Aufruf von Karl Fischer gefolgt, der bei der Wackerchemie als Schlosser arbeitete. In einer Resolution forderten die Teilnehmer der Kundgebung die unentgeltliche Erteilung der Bürgerrechte, Maßnahmen gegen die Preistreiberei, eine Lebensmittelverteilung unter Teilnahme von Arbeitervertretern und die Neuwahl der Gemeindevertretung. Magistrat und Gemeindekollegium zeigten sich grundsätzlich mit den Forderungen einverstanden.
Zwei Tage später formierte sich unter Vorsitz von Max Ulrich (SPD) ein Arbeiter- und Soldatenrat, der sich aus Arbeitern, Fabrikbeamten, Selbstständigen und einem Offizier zusammensetzte. Ulrich wurde auch Vorsitzender des Bezirksarbeiterrates. Aufgrund von Streitigkeiten wegen der Umsetzungen der Bürgerforderungen erzwang der Arbeiter- und Soldatenrat den zeitweiligen Rücktritt von Bürgermeister und Gemeindekollegien. Ab Dezember 1918 begnügte sich der Arbeiter- und Soldatenrat aber damit, die Arbeit von Magistrat und Gemeindevertretung durch mehrere seiner Mitglieder zu überwachen.
Kurz nach der Ermordung von Ministerpräsident Eisner, am 24. Februar 1919, fand eine öffentliche Protestversammlung statt. Am 7. April 1919 wurde in Burghausen die Räterepublik ausgerufen. Das Ereignis wurde auf einer Volksversammlung gefeiert mit Max Ulrich als Hauptredner. Der Arbeiter- und Soldatenrat verhängte die Zensur über den „Burghausener Anzeiger“. Anfang Mai machte ein Freikorps, das kampflos in Burghausen einzog, dem Revolutionsexperiment ein Ende.
Die Lage im Rottal
Obwohl die Räterepublik weitgehend auf die Städte Augsburg, München, Rosenheim und deren Einzugsgebiete beschränkt blieb, hinterließ die Zeit der roten Räteherrschaft auch im Rottal Spuren. Vom Zentral-Arbeiterrat in München wurde der 19-jährige Herr Weber (Adolf Weber?[1]) nach Griesbach geschickt, um dort das Rätesystem zu etablieren. Er riss die Kontrolle über das Bezirksamt (Landratsamt) an sich, erließ bei Strafandrohung selbständige Verfügungen und drohte mit Inhaftnahme angesehener Rottaler Bauern als Geiseln.
Diesem politischen Neuanfang sah man im Rottal mit gemischten Gefühlen entgegen. Am Mittwoch vor dem Weißen Sonntag 1919 sollte in Pocking die Räteregierung ausgerufen werden.
Oberregierungsrat von Braun verständigte den Müller Bieringer in Karpfham über die Absicht der Kommunisten. Bieringer wiederum wandte sich telefonisch an die Bauern im Rottal und rief eine Bauernversammlung für denselben Tag nach Pocking ein. Die Bauern von Pocking, Karpfham, Griesbach und Umgebung kamen um 12 Uhr mittags zusammen. So marschierten weit über tausend Bauern vor dem Versammlungslokal der roten Arbeiterräte auf und verlangten Einlass.
Der Abgesandte Weber bekam die Wut der Bauern zu spüren. In der Halle stellten die Bauern dem Arbeiterrat das Ultimatum, dass Weber bis 12 Uhr mittags am nächsten Tag verschwinden soll.
Am Abend wurde in Griesbach noch eine Versammlung einberufen, da Weber einflussreiche Bauern und den adeligen Bezirksamtmann von Braun verhaften lassen wollte. Stattdessen wurde der Arbeiterrat über Nacht ins Amtsgerichtsgefängnis gesperrt. Weber verschwand am nächsten Tag unverrichteter Dinge nach Passau. Die Arbeiterräte verschwanden aber nicht so schnell. Am 28. April 1919 wurde das Standrecht über ganz Bayern verhängt.
Der Kampf um Altötting
In Altötting warb Max Ulrich, der Vorsitzende des Bezirksarbeiterrates, auf einer Versammlung vor 400 Menschen am 8. April 1919 für die Räterepublik. Es wurde die Errichtung eines Revolutionstribunals angekündigt, das allerdings nie zusammentrat.
Mitte April 1919 kamen die ersten 20 bewaffneten Rotgardisten in Altötting an, stellten ein Maschinengewehr vor dem Rathaus auf und zensierten die Lokalzeitung. Damit war Altötting kampflos den Roten in die Hände gefallen. Das Gnadenbild wurde vorsorglich nach Passau in Sicherheit gebracht.
Jedoch machten sich schon am 24. April 63 Mann des Freikorps Passau auf dem Weg, um gegen die Revolution zu kämpfen. Einer von ihnen, Emil Groß, erinnerte sich später in einer Niederschrift: „Späher schwärmten aus und erkundeten (...) den Stand der Roten Garden in Alt- und Neuötting. Einer dieser Späher (...) ist der ortskundige Pfarrer Johann Huber aus Alzgern“. Der kundschafte mit einem kleinen Boot die Lage aus.
Nichts rührte sich, also rückten die „Weißen Garden“ über die Innbrücke nach Neuötting und weiter nach Altötting vor. Wie die Lokalzeitung - inzwischen wieder unzensiert - meldete, hatten „die am vergangenen Freitag nachts aus München eingetroffenen Mitglieder der Roten Armee (...) noch am selben Abend unsere Stadt verlassen. Am 26. April (...) zog die Weiße Garde in wohlgeordneter Marschkolonne von Neuötting kommend, hier ein.“
Zwei Tage später spitzte sich die Lage allerdings zu. Gerüchte meldeten starke Rot-Verbände, die auf die Wallfahrtsstadt zumarschieren. Die Passauer Weißgardisten zogen sich nach Neuötting und über die Marienbrücke zurück. Der Inn sollte Schutz bieten gegen die kommunistischen Kämpfer. Zusätzlich versperrten die Weißgardisten die Brücke mit einem Wagen und stellten zwei Maschinengewehre auf. Was dann passierte, schilderte erneut Emil Groß: „Um 9 Uhr knatterten die roten Maschinengewehre zu uns herüber. Wir erwiderten das Feuer von der Flanke, um den Feind zu täuschen. Ich war bei dem schweren Maschinengewehr an der Rampe, unserem höchstgelegenen Stützpunkt, als eine Rot-Kreuz-Flagge mit zwei Männern und einer Rot-Kreuz-Schwester sichtbar wurde.“
Statt zu verhandeln, nahmen die Weißgardisten die roten Parlamentäre fest. Erst als die Kommunisten ihrerseits Altöttinger Bürger als Geiseln nahmen, wurden die Unterhändler freigelassen - allerdings mit der Auflage, dass die Roten bis Mittag aufgeben müssten. Als dann auch noch Verstärkung für die Weißen Garden eintraf, vereinbarten diese für 12 Uhr Mittag den Sturm auf Altötting. Nur der Rückzug der Rotgardisten verhinderte das Gefecht. Bevor die Rote Armee sich zurückzog, erpresste sie durch die zeitweise Verhaftung von Geiseln 8150 Mark.
Von der kurzen Schlacht am Inn berichtete wiederum die Lokalzeitung: „Die Rotgardisten hatten einen Toten, den sie in den Inn warfen, sowie mehrere Verletzte. Auch erhielt eine um Milch gehende Frau eine Schussverletzung. Weitere Menschenleben kamen zum Glück nicht zu Schaden, obwohl sich neugierige Zivilpersonen mit einer unglaublichen Leichtfertigkeit in der Gefahrenzone herumtrieben.“
Nicht nur in Altötting kehrte in den Wochen nach dem Gefecht am Inn wieder Ruhe ein - auch im Rest Bayerns ging die Revolution zu Ende. Am 2. Mai eroberten Freikorps auf blutige Weise München; im Rosenheimer Raum hielten sich die Kommunisten einen Tag länger. Für Altötting markiert der 31. Mai 1919 den Gang zurück zur relativen Normalität: An diesem Tag wurde das Gnadenbild, das Stadtpfarrer Franz Xaver Konrad vorher nach Passau in Sicherheit getragen hatte, zurückgebracht.
Literatur
- Gerold Zue: Revolution im Rottal: Bauern vereiteln Räteregierung. In: Passauer Neue Presse vom 17. Oktober 2009 (S. 21)
- Christoph Kleiner: Als „Rote“ und „Weiße“ um die Schwarze Madonna kämpften. In: Passauer Neue Presse vom 25.April 2009 (S. 20)
- Egon Johannes Greipl/Ludger Drost: Stadtgeschichte und Stadtgestalt. In: Denkmäler in Bayern, Band II.25 Kreisfreie Stadt Passau. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2014, ISBN 978-3-7917-2552-9
Weblinks
- Eintrag über „Räterepublik“ in der Wikipedia
- Straubing im Haus der Bayerischen Geschichte
- Passau im Haus der Bayerischen Geschichte
- Burghausen im Haus der Bayerischen Geschichte
- Altötting im Haus der Bayerischen Geschichte